Psychopharmaka (Psychiatrische Medikamente) – mehr Schaden als Nutzen !!!

In der medizinischen Fachzeitschrift, The LANCET, bin ich auf eine wichtige Diskussion über Psychopharmaka (psychiatrische Medikamente), deren Verbreitung und deren Schaden gestoßen.

Angestoßen hat die Diskussion der dänische Arzt und Psychiater, Dr. Peter Goetzsche,  durch einen Beitrag im LANCET (Lancet Psych 2014; 1: 104-106) und einen Artikel im Guardian am 30.4.2014. Dr. Goetzsche ist Direktor des angesehenen Nordic Chochrane Centre* und Mitglied des Konzils für „Evidenz-basierte Psychiatrie“** in England.

Er beschreibt im Guardian am 30.4.2014 eine Zunahme der Verschreibung von Medikamenten gegen Depressionen, den Antidepressiva, auf mehr als 53 Millionen Verschreibungen im Jahre 2013 alleine in England. Er sagt, die Antidepressiva (SSRI) hätten damit die Beruhigungsmittel (Benzodiazepine) abgelöst, die  in den 80er Jahren genauso häufig verschrieben worden seien, aber wegen ihrem Suchtpotential (Gefahr, davon abhängig zu werden) weniger verschrieben worden seien.

Die Ausbreitung sei in allne westlichen Ländern ähnlich häufig, in den USA aber besonders hoch, weil dort offen für Antidepressiva (SSRI) geworben werden dürfe.

Goetzsche beschreibt drei Gründe für den enormen Anstieg der Verschreibungshäufigkeit:

  1. Die Definitionen sind vage und viele Menschen werden unangemessen, also falsch, diagnostiziert.
  2. Einige Psychiater, die auch an den Diagnostischen Richtlinien mitgeschrieben haben, wurden von der Pharmaindustrie bezahlt.
  3. Das Verhalten der Pharmafirmen sei im Fachgebiet der Psychiatrie schlimmer als in jedem anderen Fachbereich der Medizin, so würden Millionen Dollar für das illegale Marketing von psychiatrischen Medikamenten ausgegeben, deren Nutzen nicht überprüft sei.

Gefahren

  • Die massenhafte Verschreibung geht mit immer größeren Abhängigkeiten  einher. Menschen bekommen Probleme, auch wenn sie die SSRI langsam absetzen. ( wie bei den „Benzodiazepinen, s.o.) “ Die Symptome werden oft missverstanden und als Wiederkehren der Depression gedeutet oder als eine neue depressive Episode, für die dann wieder SSRI verschrieben werden. Es entwickelt sich ein Kreislauf von Abhängigkeit und ein Anstieg an Medikamenten-abhängigen Langzeit-Nutzern.
  • Psychiatrische Medikamente können die Symptome, die sie behandeln sollen, verstärken. Das führt dann dazu, dass Psychiater die Dosis erhöhen oder das Medikament wechseln.
  • In der Hälfte der Fälle verursachen die SSRI eine ganze Reihe von sexuellen Problemen. Studien belegen, dass diese noch lange andauern, auch wenn die Medikamente schon abgesetzt worden sind.
  • Die US Food and Drug Administration hat gezeigt, dass durch Antidepressiva bis zum 40.Lebensjahr die Gefahr von Selbstmordversuchen steigt. Werden diese Medikamente Gesunden wegen Stress oder Schmerzen verschrieben, steigt ebenfalls das Selbstmordrisiko.
  • Andere Studien belegen, dass bei Menschen über 65 Jahren einer von 28 durch Stürze und Frakturen wegen der SSRI stirbt.

Dabei belegen alle Untersuchungen, dass der Nutzen /Effekt von SSRI bei leichten Depressionen nicht stärker ist als der von Placebos (Schein-Medikamenten) und nur unwesentlich besser bei mittel schweren Depressionen (Darüber haben wir auch in diesem Blog mehrfach berichtet).

Goetzsche fasst zusammen: Es ist nicht klar, ob Antidepressiva in irgendeinem Alter sicher sind !!!

Die Art, wie wir bisher Psychiatrische Medikamente einsetzen, verursacht mehr Schaden als Nutzen.

Wir sollten die psychiatrischen Medikamente deshalb weniger einsetzen, nur kurze Zeit anwenden und immer einen Plan haben, wann und wie wir sie langsam absetzen. Damit Menschen nicht den Rest ihres Lebens mit psychiatrischen Medikamenten behandelt werden.

 

„Coole Kids“ – fördert die Konfektionsgrösse „Triple Zero“ die Entwicklung einer Magersucht ?

Die amerikanische Modemarke Abercrombie & Fitch hat eine neue Konfektionsgröße: 000 – „Triple Zero“ auf den Markt gebracht. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu, dies sei „eingefährliches Signal an junge Mädchen und Frauen.“ (siehe den Tweet auf dieser Bog-Seite).

Die US-Größe 000 entspricht einer deutschen Größe 28, und damit einer Bundweite von 58,5 cm, dem Durchschnitt von bei sechs bis achtjährigen Mädchen bei einer Körpergröße von 1,30 cm. Das ist definitiv, auch aus medizinischer Sicht, zu klein und nicht gesund für erwachsene Frauen.

Doch was beweist das ?

Abercrombie & Fitch wendet sich an „coole Kids„, also Kinder, die mit „Klamotten“ dieser Marke cool sein wollen.

Doch fördert es wirklich Erkrankungen wie Magersucht und Untergewicht, wenn eine amerikanisches Mode-Label versucht, auch für sechs bis acht jährige Mädchen attraktiv zu sein ?

Psychotherapeuten und Essstörungs-Experten wissen, dass mehr dazu gehört, als bestimmte Kleidung, abgemagerte Models in der Mode oder in Zweitschriften, um eine Magersucht zu entwickeln. Immer wieder sind ganz spezifische Probleme und Konflikte dafür verantwortlich, dass junge Mädchen und Frauen magersüchtig werden.

Unsere langjährige Erfahrung zeigt ausserdem, dass Mädchen, die unter einer Magersucht leiden, nicht versuchen, cool zu sein, sondern, nicht erwachsen werden zu müssen. Prof. Crisp, langjähriger Anorexie-Experte in London, hat diesen Konflikt „Puberty-Treshhold“ – Pubertäts-Schranke, genannt.

Ein weiteres typisches Problem hat die engliche Magersuchts-Expertin, Hilde Bruch, schon in den 70er Jahren in ihrem Buch „der Goldene Käfig“ beschrieben: sie beschrieb darin Mädchen und Jugendliche, denen zu Hause materiell an nichts fehlte, die erfolgreich und ergeizig waren und von den Eltern geliebt wurden. Doch die enge Familienbindung waren für alle Beteiligten so wichtig, dass sich sowohl die Eltern, wie die betroffenen Töchter sich nach aussen abschirmten und Angst davor hatten, wenn die Tochter selbstständig wurde und eine eigene Privatsphäre brauchte.

Das sind nur zwei häufige von mehreren Konflikten, die zeigen, dass keine Magersucht ohne schwere psychische oder familiäre Konflikte entsteht und die Betroffenen mehr brauchen, als Schutz vor Werbung, Kinder-Kleidung und schlechten gesellschaftlichen Einflüssen.

In der Regel ist eine einfühlsame medizinische und psychotherapeutische Behandlung unter Einbeziehung der ganzen Familie notwendig, um den magersüchtigen Frauen und Mädchen aus ihren Problemen und Konflikten zu helfen.

Eine alleinige Gewichtszunahme hilft den Betroffenen nicht weiter, sondern steigert nur ihre Not.

Adipositas – erschreckende neue, internationale Zahlen

BBC News machte heute auf eine internationale Untersuchung mit erschreckenden, neuen Zahlen zu Übergewicht und Adipositas aufmerksam (Lancet 29. May 2014):

Mehr als 2,1 Milliarden Menschen weltweit sind übergewichtig oder adipös. Das sind deutlich mehr als 1980. Und was noch erschreckender ist: die Zunahme betrifft nicht nur die reichen, westlichen Länder, sondern v.a. auch Schwellenländer und Entwicklungsländer (Link zu Twitter hier im Blog: http://www.bbc.co.uk/news/health-27616073 .

Zur Erklärung: übergewichtig sind Menschen mit einem BMI größer als 25 m/kg 2. Das sind Menschen, die mehr als 72,3 kg bei einer Körpergrösse von 1,70 m, oder mehr als 81 kg bei 1,80 m Körpergröße wiegen.

Adipös sind Menschen mit mehr als 86,7 kg bei 1,70 m, bzw. 97,4 kg bei 1,80 m Körpergröße (BMI größer 30 kg/m 2).

Übergewicht steigt weltweit. Aber die größte Steigerung wird in Schwellen- und Entwicklungsländern gemessen.

Mehr als 671 Millionen adipöse Menschen leben in 10 Ländern. Deutschland liegt erstaunlicherweise erst auf Platz 8. Hier sehen Sie die Reihenfolge der 10 Staaten mit der größten Prävalenz (Häufigkeit):

1. USA

2. China

3. Indien

4. Russland

5. Brasilien

6.Mexiko

7. Ägypten

8. Deutschland

9. Pakistan

10. Indonesien

In den Entwicklungsländern sind mehr Frauen als Männer von Adipositas betroffen. Als Ursachen werden v.a. westliche, fettreiche Ernährung und zunehmende körperliche Inaktivität genannt.

Die Studie fordert dringende globale Aktivitäten zur Bekämpfung von exzessivem Kalorienverzehr, Inaktivität und „aktiver Werbung für Nahrungsmittelverzehr durch die Industrie.“

Bundestag Anhörung: Stärkung der Psychosomatik im PEPP

Heute findet im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages eine Anhörung zur Weiterentwicklung des PEPP-Entgeltsystems, des Systems für die zukünftige Finanzierung der stationären Behandlungen in den Abteilungen für Psychiatrie und Psychosomatik, statt.

Als Sachverständiger werde ich die Position der Psychosomatik und des Verbandes der Psychosomatischen Kliniken, VPKD, vertreten.

Im Positionspapier des VPKD wird das bisherige, historisch gewachsene Entgeltsystem in den Kliniken kritisiert und die Notwendigkeit eines leistungsorientierten Vergütungssystem hervorgehoben.

Krankenhäuser bekommen nämlich bis heute Tagespauschalen, die einmal im Jahr mit den Krankenkassen in Budgetverhandlungen festgelegt werden. Sie haben eher etwas mit den Besonderheiten der Kliniken, als mit der Patientenbehandlung zu tun. Kliniken bekommen also bis heute die gleichen Tagespauschalen für alle Patienten, unabhängig von dem Behandlungsaufwand oder der Schwere der Erkrankung der Patienten.

Darüber hinaus ist dieses bisherige Entgeltsystem intransparent und die Bezahlung unabhängig von der Intensität und Qualität der Behandlung. Oft werden Patienten mit den gleichen Erkrankungen ganz unterschiedliche Behandlungen angeboten, je nachdem in welcher Klinik die Behandlung stattfindet. Viele der Behandlungen sind nicht leitliniengerecht, die Wirksamkeit und der Erfolg nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen überprüft.

So hat z.B. die Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung zur Behandlungen von Depressionen bei mehr als 6 Millionen Versicherten nachgewiesen, dass nur ein Viertel der Patienten eine leitliniengerechte, angemessene und notwendige Behandlung bekommt (siehe dazu Beitrag in diesem Blog).

Bei der Anhörung werde ich mich deshalb insbesondere einsetzen für:

– die Finanzierung von mehr Psychotherapie im Entgeltsystem

– mehr Qualitätssicherung und mehr Anwendung von Qualitätssicherung und Leitlinien

– die Einrichtung von Psychosomatischen Institutsambulanzen und mehr sektorenübergreifender Versorgung

– einer Einführung des PEPP-Entgeltsystems mit einer verlängerten bugetneutralen Phase

– einer weiteren Differenzierung von Diagnosen und Prozeduren

– und einer Modifizierung der Kodierrichtlinien

Warum Informationen wichtig sind: Qualitätsmängel bei der Behandlung von Patienten mit schweren Depressionen

Eine große Untersuchung der Bertelsmann Stiftung mit mehr als 6 Millionen Versicherten deckt relevante Qualitätsmängel bei der Diagnostik und Behandlung von Depressionen auf: Denn: „drei Viertel der Patienten mit schweren Depressionen werden nicht nach dem aktuellen Standard versorgt“.

Nur ein Viertel der Patienten erhielt die von der Nationalen Leitlinie empfohlene Behandlung.“ (Faktencheck Gesundheit: Depressionen der Bertelsmann Stiftung, April 2014).

In den Nationalen Versorgungsleitlinien zur Behandlung von Depressionen werden je nach Schweregrad der Erkrankung unterschiedliche Behandlungen empfohlen. (Siehe dazu auch den Vortrag zu Depressionen und die Patientenfassung der Nationalen Versorgungsleitlinie in diesem Blog).

Hier zwei Informationen vorneweg:

1. Leitlinien und Versorgungsleitlinien: Leitlinien sollen dazu dienen, Ärzte und Patienten über die aktuell beste Diagnostik und Behandlung von Erkrankungen zu informieren. Dazu werden in der Regel alle Experteninformationen und wissenschaftlichen Untersuchungen zusammengetragen, die Fachgesellschaften befragt und Empfehlungen zu Behandlungen zusammengestellt.

In Deutschland werden die Informationen zu Leitlinien bei der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften) zusammengetragen und veröffentlicht. Zu den meisten Empfehlungen gibt es auch sehr gute und verständliche Patientenversionen (siehe dort).

2. In der Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von schweren unipolaren Depressionen aus dem Jahre 2012 werden zahlreiche Untersuchungen, Empfehlungen von allen Experten und Dachgesellschaften ausgewertet und eine Kombinationsbehandlung mit medikamentöser Behandlung (Antidepressiva) und Psychotherapie empfohlen.

In der grossen Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung mit über 6 Millionen Versicherten wurde jetzt jedoch nachgewiesen, dass

  • nur 12 % der Patienten diese empfohlene Kombinationsbehandlung bekamen (in Bayern nur 7%)
  • 57% der Patienten erhielten ausschliesslich Medikamente
  • 18 % der Patienten gar nicht behandelt wurden (während der dreijährigen Untersuchung)
  • 25% der über 60-jährigen Patienten mit schweren Depressionen gar keine Behandlung erhielten
  • es große regionale Unterschiede bei der Behandlung von schweren Depressionen gibt
  • es in Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein den höchsten Anteil chronisch verlaufender Depressionen gibt
  • „Kreise mit besonders niedrigen Behandlungsraten (Psychotherapie) in ländlichen Bereichen in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern liegen.“

Die Ursachen der regionalen Unterschiede sind unklar. Es werden Stadt-, Landunterschiede, Über- und Unterdiagnostik, unterschiedliche Arzt- und Psychotherapeutendichte und auch unterschiedliche Krankheitshäufigkeit diskutiert.

Was aber insgesamt verwundert und erschreckt, ist wie wenige der Patienten die notwendige und bedarfsgerechte Psychotherapie bei diesen schweren Erkrankungen bekommen.

Das deckt sich auch mit unseren, eigenen Erfahrungen im Osten von München: immer wieder kommen zu uns Patienten mit schweren Depressionen und zahlreichen Problemen und Konflikten, die jahrelang nur mit Medikamenten behandelt worden sind, obwohl sie dringend eine Therapie gebraucht hätten.

Was sind die Folgerungen aus diesen erschreckenden Zahlen und Ergebnissen? Was können und müssen Ärzte und Psychotherapeuten tun?

  • die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung in ländlichen Regionen muss verbessert werden (Stichwort: Bedarfsplanung)
  • Ärzte müssen die Depressionen frühzeitiger erkennen und mit Spezialisten eine adäquate, leitlinienorientierte Behandlung einleiten
  • die Wartezeiten bei Fachärzten und Psychotherapeuten müssen verkürzt werden
  • Wir brauchen vernetzte und besser koordinierte Versorgungsmodelle und bessere Zusammenarbeit zwischen Kliniken und ambulanten Ärzten

Was können Patienten und Angehörige tun?

  • Patienten und Angehörige sollten sich selbst informieren und die Behandlungsstandards und Leitlinien kennen.
  • Sie sollten die behandelnden Ärzte immer dann fragen, wenn bei ihnen eine andere Behandlung gewählt wurde, als in den Leitlinien empfohlen wird.
  • Patienten sollten bei Behandlungen eine Zweitmeinung bei einem anderen Experten einholen und das mit dem behandelnden Arzt oder Therapeuten besprechen.

Ziel sollte sein, den Menschen besser und schneller zu helfen, die Experten brauchen, weil sie nicht mehr alleine zurecht kommen.

Niemand aber ist so hilflos, dass wir Ärzte und Psychotherapeuten ihn oder sie sie nicht über die Behandlung und die Gründe dafür informieren müssen. Immer sollten wir auch über Alternativen zu unseren Empfehlungen aufzuklären und zu Zweitmeinungen aufrufen.