Positives Denken macht krank (Teil II) – Aber es gibt Hoffnung

Im Januar 2013 haben wir einen Blog-Beitrag zu den negativen Folgen von „Positivem Denken“ gepostet. Wir haben ein Buch von Barbara Ehrenreich zitiert und darauf hingewiesen, dass es auch schaden kann, wenn Menschen nur die positiven Seiten sehen wollen und alles Negative beiseite schieben.

Die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich hat sich sehr vehement und kritisch mit dem „Positiven Denken“ auseinandergesetzt. In Ihrem Buch “Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt”  bezeichnet sie das „Positive Denken“ als Ideologie und Virus. Sie kritisierte die Auswirkungen für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft und das Finanzsystem und machte z. B. für die Wirtschaftskrise einen typischen Realitätsverlust durch positives Denken verantwortlich.

Jetzt kommt Unterstützung für diese Einschätzung von prominenter Seite: Die Professorin Gabriele Oettingen hat ein Buch zum „Positivem Denken“ veröffentlicht und die negativen Einflüsse von Wunschträumen und positiven Fantasien wissenschaftlich untersucht.

Auf diese Arbeit bin ich zuerst durch ein Interview in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT gestoßen. Das Buch dazu heißt „Rethinking Positive Thinking“ und wird 2015 auch auf deutsch erscheinen.

Die Thesen von Oettingen sind interessant, wirken aber wie: Psychoanalyse-Reloaded.

Frau Oettingen schreibt und belegt mit zahlreichen Untersuchungen, dass Menschen, die sich etwas Positives wünschen, weiter von der Wunscherfüllung weg sind und schlechtere Ergebnisse erzielen, als Menschen, die ihre Wünsche realistischer einschätzen. Wer sich auch mit den Hindernissen vor der Wunscherfüllung beschäftigt, erzielt nach ihren Untersuchungen bessere Ergebnisse. Frau Oettingen nennt das „Contrasting“. (In der Sprache der Psychoanalyse heißt das Hindernis, Widerstand, Abwehr u.a.).

Oettingen beschreibt z. B., dass stark übergewichtige Frauen in einem Gewichtsreduktionsprogramm weniger abgenommen haben, wenn sie sich vorher ihre Zukunft nach dem Programm sehr positiv ausgemalt haben. (Diese negativen Aspekte von Gewichtsabnahmeprogrammen haben allerdings auch zahlreiche Studien von Fairburn et. al. vor Jahren schon nachgewiesen).

Im Buch von Frau Oettingen und in den zitierten Studien gibt es zahlreiche weitere Beispiele für negative Ergebnisse bei zu „Positivem Denken“.

Aber warum gibt es Anlass zur Hoffnung?

Frau Oettingen hat eine Strategie oder Lösung entwickelt, die einen Ausweg bietet und angeblich leicht im Selbstversuch angewandt werden kann: Das Buch kann bei Amazon herunter geladen werden: „Rethinking Positive Thinking“

Die Lösung, die Frau Oettingen wissenschaftlich untersucht hat, ist, dass sich Menschen vor der Wunscherfüllung die Probleme auf dem Weg zur Wunscherfüllung klar machen und die Hindernisse auf dem Weg dahin vor Augen führen.

Das soll dazu führen, dass man von unrealistischen Plänen Abstand nimmt und die verbleibenden realistischeren Ziele auf die Schwierigkeiten, Stolpersteine und Fallen hin untersucht.

Die Lösung wirkt zwar nicht wirklich neu. Es ist eine sehr vereinfachte und sehr übersichtliche Anwendung des PDCA-Zyklus von Deming und der Psychotherapie: Hiess es bei Deming in 4 Schritten noch: „Plan – Do- Check – Act“ (Plane-Tue-Überprüfe-Handele), heisst es bei Oettingen jetzt: „Wish – Outcome – Obstacle – Plan“ (*Wunsch-Ergebnis-Hindernis-Plan).

Oettingen nennt diesen Zyklus: WOOP. Es gibt ihn in der englischen Fassung auch schon als APP.

Das sind u.a. auch die Aufgaben einer seriösen Psychotherapie.

D.h.: Das was bei Frau Oettingen so einfach klingt, ist psychotherapeutischer Alltag. Wenn sich Menschen mit den Schwierigkeiten von Verhaltensänderungen oder Veränderungen der Lebensumstände befassen, sind sie einen Schritt weiter und erliegen weniger Selbsttäuschungen und Selbstbetrug.

Wenn sie dann auch rechtzeitig erkennen, wann diese Selbsthilfe durch WOOP nicht mehr funktioniert und sich Hilfe von Experten und ggf. Psychotherapeuten suchen, sind sie nicht nur einen Schritt weiter, sondern kurz vor der Problemlösung.

So gesehen, kann WOOP uns allen helfen.

„Positives Denken macht krank“

Das war ein Buchtitel von Dr. Günter Scheich, erstmals veröffentlicht im Jahre 1997. Der Titel überrascht. Gibt es doch Hunderte von Büchern, Seminaren und Fortbildungen zum Positiven Denken„.

Alle kennen Titel, wie: „Erfolg durch positives Denken“, „die unendliche Quelle Ihrer Kraft“, „Die Macht des positiven Denkens“, „Glück ist kein Zufall“, „Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert“  und „Sorge Dich nicht – lebe!“ Eine ganze Industrie lebt davon. Immer wieder wird Menschen in schwierigen Situationen, bei schweren Erkrankungen oder Trauerfällen auch von Ärzten, Coaches und Pflegekräften geraten, „positiv zu denken“.

Doch die Wirksamkeit dieser Methode wurde nie nachgewiesen. Die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich setzt sich sehr vehement und kritisch mit diesem Denken auseinander. In Ihrem Buch „Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“  bezeichnet sie das positive Denken als Ideologie und Virus. Sie kritisiert die Auswirkungen für das Gesundheitssystem. die Wirtschaft und das Finanzsystem und macht z.B. für die Wirtschaftskrise einen typischen Realitätsverlust durch positives Denken verantwortlich.

Und es gibt wirklich zahlreiche Untersuchungen, die Frau Ehrenreich Recht geben und zeigen, dass die Auseinandersetzungen mit Problemen und kritischen Themen z.B. in Psychotherapie und Psychosomatik besser dazu geeignet sind, dass Menschen wieder gesund werden.

Das hilft besser, als sich immer wieder einzureden, alles sei gut, man müsse nur positiv denken. Ganz abgesehen von den Schuldgefühlen, die es macht, wenn das positive Denken nicht weiter hilft.

Günter Scheich unterscheidet zwischen gesundem Optimismus, der auf Fähigkeiten, Kenntnisse und richtiger Einschätzung von Situationen aufbaut. Diesen gesunden Optimismus unterscheidet er von einem „platten positiven Denken“, das als Allheilmittel gesehen wird, mit dem man alles erreichen kann. Alle „negativen“ Gedanken und Gefühle würden verteufelt und es wird so getan, als wenn diese keine Bedeutung hätten.

„Wir wissen gerade in der Psychologie, dass Trauer, Wut, Ärger, Aggressionen ganz wichtige Empfindungen sind, nicht nur zur Selbstfindung, sondern auch zur Selbstbehauptung und zur Selbstabgrenzung.“  „Es führt auch zu Depressionen, wenn Menschen in aufgesetzter Weise sagen: Ich muss gut drauf sein, ich muss positiv denken. Es tritt wie beim Stottern oder Zittern das Gegenteil von dem ein, was man will.“ (Interview, bvvp 1, 2006).

Auch eigene Erfahrungen aus unserer Tagesklinik bestätigen, dass Menschen immer kränker werden, wenn sie zwanghaft versuchen, trotz schwerer depressiver Erkrankung und massiver Problemen in Familie und am Arbeitsplatz positiv zu denken. So waren z.B. die Selbstvorwürfe und die Depressionen und das Burn out einer Führungskraft in einem großen Unternehmen durch ein Coaching immer stärker geworden. Dort hatte man versucht, ihm einzureden, er könne weiter funktionieren, wenn er „positiv denke.“ Dabei war der Mann körperlich und psychisch am Ende.

In diesem Zusammenhang ist auch ein Artikel in Zeit online zu empfehlen, der sich kritisch mit dem positiven Denken auseinandersetzt: Gute Laune auf Befehl www.zeit.de/zeit-wissen/2011/01/Denk-nicht-positiv

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