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Fitbit und Co: Hintergründiges zu Aktivitätstrackern

In diesem Blog haben wir uns schon mehrfach kritisch mit Self-Tracking auseinandergesetzt.

Im Folgenden finden Sie einen sehr interessanten Gastbeitrag von Wolfgang Thoma, M.Sc., IT und Medizin-Informatik:

 Aktivitätstracker wie die von Withings, Fitbit, Sonys Smart Band und andere sind ein Verkaufsschlager. Animieren sie doch den Nutzer, seinen inneren Schweinehund zu überwinden und sich zu bewegen. Nimmt man nun den Aufzug oder geht die Treppe? Der mahnende Kalorienrechner lässt wahrscheinlich die Treppe die Wahl gewinnen.

Trotz aller Vorteile für die Physis: Der Zwang, seine Daten auf den Servern der Hersteller zu deponieren, bedeutet immer eine freiwillige Aufgabe eines Stücks Intimität. Was mit den Gesundheitsdaten bei den Herstellern geschieht ist für den Nutzer nicht mehr nachvollziehbar. Würden diese Daten in einer Arztpraxis oder einem Krankenhaus erhoben würden sie dem strengen deutschen Datenschutz unterworfen. Zusätzlich hätte der Patient ( der er ja in Einrichtungen des Gesundheitswesens ist) die Gewähr, dass die gemessenen Daten richtig sind. Da auch Software, die zu Diagnosezwecken und Therapie eingesetzt wird, in vielen Fällen ein Medizinprodukt darstellt, greifen hier die deutschen und europäischen Normen und Regularien der Medizinproduktgesetzgebung. Damit ist gewährleistet, daß Software einem Entwicklungs- und Prüfprozess unterworfen ist, der Fehler zwar nicht 100%ig ausschliesst aber doch erheblich minimiert. Diese Sicherheit besteht bei den Armbändern nicht.

In den Trackern sind Beschleunigungssensoren verbaut, die auch in Smartphones Verwendung finden. Diese Sensoren sind für wenige Cent zu haben. Einige Geräte enthalten barometrische Höhenmesser, die die zurückgelegte Höhe in Energieverbrauch umrechnen. Andere Geräte messen zusätzlich die Pulsfrequenz. Dies geschieht über die unterschiedliche Lichtabsorption von Blut und Umgebungsgewebe, die der Sensor misst. Eine Übersicht über gängige Produkte finden Sie hier[1]

Bisher ist die Software noch nicht so ausgreift, dass verschiedene Aktivitäten zuverlässig unterschieden werden können. Für den Tracker sind Basketball, Schwimmen, Golf oder Laufen nur unzureichend unterscheidbar. Auch müssen Fremdimpulse, z.B. beim Autofahren, ausgefiltert werden können. Es dreht sich also alles um Schritte, die mittels Software in Energieverbrauch umgerechnet werden. Die Aussagekraft der Werte ist daher zu hinterfragen.

Die Hersteller bieten mehr oder weniger umfangreiche Logging- und Auswertefunktionen der gemessenen Daten. Anhand der grafischen Aufbereitung kann der Nutzer einfach Trends erkennen und sein Verhalten danach richten.

Die fachlich qualifizierte Interpretation sollte jedoch aus gutem Grund durch einen Arzt erfolgen. Ob der Arzt den Daten vertrauen kann ist, wie oben dargelegt, nicht sichergestellt: Die Daten sind nicht validiert. Keine regelmäßige Wartung, Überprüfung und Kalibrierung stellt sicher, dass die Geräte korrekte Daten liefern. Daher sollte ein Arzt immer Kontrollmessungen vornehmen, um den Patienten und sich keinem unnötigen Risiko einer Falschbehandlung auszusetzen. Zumindest solange Tracker und Software nicht als Medizinprodukt klassifiziert sind.

Fazit: Tracker können einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesunderhaltung liefern. Erkauft wird dies durch Datenlieferungen an die Hersteller. Diese Informationen bleiben außerhalb der Kontrolle des Nutzers. Auffälligkeiten sollten jedoch immer mit einem Arzt besprochen werden.

W. Thoma, M.Sc. 1.8.2014

[1] http://igrowdigital.com/de/2013/11/aktivitats-tracker-der-grose-uberblick/

 

Self-Tracking, Selbstoptimierung und Psychosomatik ?

Der Markt für Fitness- und mobile Geräte zur Selbstoptimierung boomt. Immer mehr Firmen bringen Geräte und Software auf den Markt, die Körperfunktionen messen. Auf der diesjährigen Consumer Electronics Show in Las Vegas waren diese neuen Geräte der Megatrend. Experten schätzen, dass dies in Zukunft der Markt mit dem größten Wachstumspotential sein wird.

Diese mobilen Geräte zum Self-Tracking zeigen uns unsere Aktivität an, messen unsere Fitness und sammeln für uns Fitnesspunkte. Sie wachen über die Qualität unseres Schlafes und befriedigen Bedürfnisse, von denen wir noch gar nicht wussten, dass wir sie hatten. Meist lässt sich die neue Software als App auf das Smartphone laden. Die Ergebnisse all dieser Bestimmungen und Messungen kann man auf dem PC speichern und außerdem mit Freunden und Kontakten im Netz teilen.

Und viele dieser Programme, Apps und Gadgets wirken wie Antreiber, die helfen sollen, den „inneren Schweinehund“  zu überwinden (wie in einem Beitrag in der ELLE schön nachzulesen ist).

Doch es geht nicht nur um Lifestyle und einen neuen Modetrend. Die neuen Geräte sollen v.a. den Gesundheitsmarkt revolutionieren. Sie können schon jetzt Blutdruck und Herzfrequenz, Blutzucker und Aktivitäten messen. Der Begriff, den wir in Zukunft öfter hören werden, heisst mobile Health oder mHealth (also mobile Gesundheit).

Aber was interessiert die Psychosomatik an dem neuen Trend zur „Vermessung des Menschen„, wie die Süddeutsche Zeitung am 18.2.14 titelt?

Zum einen werden unrealistische Erwartungen geweckt, wie die Idee, einen Herzinfarkt vorhersagen zu können. Hier wird ganz offensichtlich auch mit den Ängsten von Menschen gespielt; es werden Präventiverfolge versprochen, die wohl noch in den nächsten Jahrzehnten nicht einzulösen sind.

Zum anderen sind die Messungen v.a. von Aktivität, Fitnesspunkten usw. oft ungenau, nicht nachvollziehbar und oft einfach falsch. Wenn das Menschen mit gesundheitlichen Problemen oder körperlichen Krankheiten anwenden, kann es gefährlich werden.

Dies alles ist ja möglicherweise interessant, informativ, spannend oder lustig. Manchen Menschen hilft es auch, aktiver zu werden, gezielter Sport zu treiben oder notwendige Messungen selbst vorzunehmen. Diese Programme auf Smartphone, PC oder am Arm erleichtern dann Aktivitäten, die man sowieso schon unternimmt.

Unsere Erfahrung ist, dass Menschen, die sich informieren wollen, um ihre Lebensgewohnheiten oder ihr Essverhalten ändern, dies auch ohne solche Programme tun. Sie freuen sich u.U. über die neuen Möglichkeiten, brauchen diese Apps aber nicht wirklich. Und die Menschen, die regelmäßig Sport treiben und ein „gesundes“ Körpergefühl haben, merken selbst, wenn sie schlecht geschlafen oder sich zu wenig bewegt haben.

Für dauerhafte Verhaltensänderungen braucht es mehr als Wissen Ermahnungen und Apps. Sonst gäbe es keinen übergewichtigen Diabetiker, rauchenden Gefäßpatienten oder Hypertoniker. Sonst würden wir uns alle gesund ernähren und regelmäßig Sport treiben.

Aber was machen Menschen, die nicht gelernt haben, mit diesen Informationen umzugehen, diese nicht richtig einordnen können oder einfach Angst bekommen ?

Wie wirken die Hunderte von Informationen über Blutdruck, Blutzucker und unregelmäßigen Herzschlag auf Angst-Patienten und Menschen, die nicht gelernt haben, diese Ergebnisse zu interpretieren. Wer hilft ihnen nachts und an Wochenenden?

Oder: was machen Menschen, die nicht gelernt haben, auf körperliche Anzeichen und Signale zu achten. Ihnen helfen Geräte zum Self-Tracking auch nicht. Es hilft ihnen zwar dabei, sich selbst „zu vermessen“, aber sie müssen sich auch mit diesen Helfern nicht spüren.  Mit diesen Menschen sind solche gemeint, die arbeiten, obwohl sie eigentlich keine Kraft mehr haben. Menschen, die Schmerzen haben und trotzdem weiter Sport machen oder arbeiten, Menschen, die trotz Krankheiten ihr Verhalten nicht danach richten (weiter Rauchen, sich falsch ernähren usw.). Das gilt also für viele Menschen mit Somatisierungs-störungen.

Noch problematischer ist Self-Tracking für solche Menschen, die zu Ängsten, z.T. zu Überängsten neigen. Für diese Menschen sind schon Informationen über Erkrankungen im Internet problematisch, weil sie immer das Schlimmste und den „Worst Case“ befürchten.  Menschen, denen schon allgemeine Informationen über Krankheiten Angst machen, die schon bei jedem kleinen, körperlichen Unwohlsein befürchten, ernsthaft krank zu sein, können durch diese Programme noch schlimmer in den Kreislauf von Kontrollen von Körperfunktionen und letztlich die Kontrolle von Ängsten geraten.

Für diese Menschen sind bereits Beipackzettel bei Medikamenten, Informationen im Internet äußerst beängstigend. Ihnen helfen deshalb auch die neuen Geräte, Programme und Apps nicht. Ganz im Gegenteil: durch die neuen Möglichkeiten werden die Ängste noch verschlimmert, v.a. die Angst vor Kontrollverlust.

Bei solchen Menschen mit Angsterkrankungen führen die neuen Möglichkeiten, eher dazu, die Ängste aufrecht zu erhalten und zu Chronifizierungen.

Deshalb sollten Menschen, die diese neuen Möglichkeiten zur Selbstoptimierung und zum Self-Tracking nicht nur aus Neugier, zum Sport oder und zum Spass verwenden, vorsichtig sein. Wenn sie merken, dass sie von den neuen Helfern abhängig werden und sich immer öfter selbst kontrollieren müssen, um sich zu beruhigen, sollten sie professionelle Hilfen aufsuchen.

Grundsätzlich aber bieten die neuen Geräte und Apps zum Self-Tracking zahlreiche neue Möglichkeiten, die ja auch unabhängiger von Ärzten machen und die Selbstverantwortung stärken können.