Immer mehr Menschen sind „Ausgebrannt“ und leiden unter Burn out

In dieser Woche überschlagen sich die Medien mit Berichten zu Stress am Arbeitsplatz (Fokus, 10.6.13), Ursachenforschung zur Zunahme psychischer Erkrankungen (SZ, 11.6.13) und vorzeitigem Ruhestand durch psychische Erkrankungen (SZ, 12.6.13).

Der letzte Artikel ist besonders interessant, da er die Zahlen der Deutschen Rentenversicherung, DRV, beschreibt: in Deutschland gibt es 1,67 Millionen „Erwerbsminderungsrentner“, die im Schnitt mit 50 Jahren eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen. Das waren im letzten Jahr 190.000 Menschen. Die Ursachen für die frühzeitige Berentung waren in 42,1 % psychische Erkrankungen, v.a. Depressionen und Ängste. Nach den Zahlen der DRV ist das eine Zunahme von 1,2 % zum Vorjahr und eine Verdoppelung zum Jahre 1996 (20%).

Die Fachleute der Rentenversicherung nennen dafür drei Ursachen:

  • seelische Erkrankungen sind heute weniger tabuisiert, d.h. Ärzte diagnostizieren sie öfter und Menschen bekennen sich häufiger dazu.
  • Die Arbeitswelt hat sich dramatisch geändert. Im Artikel wird genannt, dass körperliche Belastungen abnehmen, aber psychische Belastungen zunehmen. Dazu kommt sicher, wie an anderer Stelle in diesem Blog beschrieben, dass sich die Arbeitswelt in den letztenJahrzehnten massiv verändert hat: Arbeitsplatzunsicherheit, drohender Jobverlust und Arbeitsverdichtung bestimmen den beruflichen Alltag.
  • der „Ernstfall tritt heute früher ein, denn 36% der Betroffenen sind  jünger als 50 Jahre.

Die Zahlen belegen aber auch, dass die Betroffenen von einer Erwerbsminderungsrente allein kaum leben können, denn v.a. Menschen mit niedrigen Löhnen und z.T. langer Arbeitslosigkeit sind davon betroffen. Deshalb müsse jeder vierte Haushalt Wohngeld, Hartz IV, staatliche Grundsicherung oder Sozialhilfe beantragen. Politiker fordern deshalb: „Wenn man so krank wird, dass man nicht mehr arbeiten kann, darf man nicht deshalb arm werden (K.-J. Laumann, CDA).

Aus diesen Gründen wird verständlich, warum sich die Politik, die Kostenträger und viele Klinken vermehrt mit Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen, Somatisierungsstörungen (Erklärung siehe in diesem Blog) und Burn out  beschäftigen und Fachleute zu Prophylaxe und Vorbeugung, fachärztlicher Diagnostik und Behandlung raten.

Deshalb führen wir in unserer Psychosomatischen Abteilung bei München seit Jahren Hunderte von diagnostischen Vorgesprächen und spezialisierte Behandlungen in Station und Tagesklinik für Menschen mit diesen Erkrankungen durch.

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz und Burn out

„Gesund im Beruf“ titelt die SZ drei Sonderseiten am 16. Mai 2013 und erstaunlicherweise geht es in erster Linie um Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz: um einen „Schutzschild gegen Stress“, um Resilienz (Widerstandskraft), die Frage: „macht Arbeit krank?“ und ein eLearning Projekt zur Stärkung psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt, was vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wird (psyga.info). Es wird betont, dass auch Führungskräfte Unterstützung brauchen und der Mitarbeiter auch für die Betriebsräte im Mitttelpunkt steht.

Hier sollen nur die wichtigsten Zahlen berichtet werden:

  • Psychische Erkrankungen sind die Ursache für 13,2 % der Krankheitstage (BKK-Gesundheitsreport 2012). Damit liegen psychische Erkrankungen erstmals nach Muskel- und Skelett-Erkrankungen (spezielle Rückenleiden, die m.E. oft auch psychisch bedingt sind) und Atemwegserkrankungen an dritter Stelle der Fehlzeiten in Unternehmen.
  • 38 % der Frühberentungen erfolgen wegen psychischer Erkrankungen
  • die Kosten für Unternehmen wegen psychischer Erkrankungen bewegen sich im zweistelligen Milliardenbereich
  • in der Europäischen Union sind 160 Millionen Menschen von psychischen Erkrankungen betroffen, das sind, so Dr. Breucker vom BKK-Bundesverband, etwa ein Drittel der Bevölkerung
  • Stress kann auch Anlass für Herzinfarkt, Diabetes und Rückenerkrankungen sein.

Bei den Angaben über die Ursachen für diese erschreckenden Zahlen bleiben die Artikel auf diesen Sonderseiten relativ wage.

  • Es werden selbst bei dem europaweiten Projekt der BKK keine Angaben über die Auswirkungen der Euro- oder Finanzkrise gemacht
  • im Artikel über die Rolle der Betriebsräte werden die gesellschaftlichen Gründe wie Niedriglohn, Befristungen, Mini-Jobs, Leiharbeit und betriebliche Gründe wie schlechte Arbeitsbedingungen und unkluges Führungsverhalten genannt
  • im Interview mit dem Psychologen Dr. Reuter werden individuelle Faktoren wie mangelnde Belastbarkeit wegen psychischer Anfälligkeit oder emotionaler Probleme beschrieben, die anfälliger auf Belastungen in der Arbeit machen. In diesem Artikel wird auch die Resilienz beschrieben. Damit wird die psychische Widerstandskraft gegen Stress und psychische Erkrankungen beschrieben, die sich trainieren lässt.

Bei den Maßnahmen werden genannt:

  • in Betrieben Wiedereingliederungsmaßnahmen nach Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankungen und betriebliche Maßnahmen bei Arbeitsorganisation und Arbeitsplatzgestaltung,
  • beim eLearning Projekt wird auf die Unternehmenskultur Wert gelegt und Führungskräfte darin geschult, einen respektorientierten Führungsstil zu lernen.
  • Resilienz-Training zur Stärkung der Widerstandskraft gegen psychische Erkrankungen

Aber lesen Sie selbst (Gesund im Beruf, SZ Sonderseiten der Markt1 Verlagsgesellschaft, 16.5.13): Wenn man genau liest, sind die wichtigsten Aspekte zu psychischer Gesundheit erwähnt. Trotzdem fällt auf, dass diese ganze Sonderbeilage ohne Stellungnahme von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten und Psychiatern auskommt. Der einzige Psychologe, der zu Worte kommt, ist ein Neurowissenschaftler, der über den Zusammenhang zwischen Genetik, Hormonen und psychischer Belastung und seinen Forschungsarbeiten berichtet.

Und auch wenn es stimmt, dass Stress, psychische Erkrankungen und Burn out immer dann entstehen, wenn gesellschaftliche Rahmenbedingungen, innerbetriebliche und individuelle Faktoren zusammenkommen, kommen sowohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die individuellen Belastungsfaktoren zu kurz.

Was führt Menschen dazu, sich im Beruf über die eigenen Belastungsgrenzen zu engagieren? Was sind die Ursachen dafür, dass in vielen sozialen Berufen, die Arbeitnehmer körperlich und psychisch erkranken und aus dem Beruf ausscheiden? Warum wundern wir uns, wenn Menschen erkranken, die immer häufiger in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten? Wie ist unser gesellschaftlicher Umgang mit Mini-Jobs? Wundern wir uns wirklich, wenn alleinerziehende Frauen psychisch erkranken, wenn sie die Mehrfachbelastungen ohne entsprechende Angebote an Krippen- und Kindergartenplätzen nicht mehr aushalten?

Wegen all dieser zunehmenden Probleme und der wachsenden Gefährdung der Psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz ist eine qualifizierte, wohnortnahe Behandlung mit kurzen Wartezeiten, wie in unserer psychosomatischen Akutklinik bei München immer notwendiger.

Selbständigkeit im Alter durch psychische Gesundheit und moderne Techniken

Körperliche und psychische Gesundheit sind zentrale Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter.

Dafür haben wir in der psychosomatischen Abteilung der Kreisklinik Ebersberg bei München seit 2011 eine Behandlungsgruppe für ältere Menschen eingerichtet, die von immer mehr Menschen aus der Region und dem Landkreis in Anspruch genommen wird.

Wir alle wünschen uns, bis ins hohe Alter körperlich und psychisch gesund zu bleiben und ein glückliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dazu verhelfen wir Menschen mit körperlichen Erkrankungen und psychischen Krisen in unserer psychosomatischen Behandlung für Ältere: 55plus (siehe diesen Blog). Hier behandeln wir Menschen, die um die 60 Jahre und älter sind, mit einem individuellen Behandlungsprogramm.

Denn der Bedarf wächst, wie viele Berichte und Untersuchungen zeigen. Doch es gibt im Vergleich dazu wenig spezielle Angebote in der Psychosomatik. Untersuchungen zeigen auch, dass zwar 50 % der Menschen über 70 Jahre  psychische und psychotherapeutische Hilfe bräuchten, aber nur nur 2 % davon wirklich in Behandlung gehen.

Deshalb sehen wir eine wichtige Aufgabe – auch unseres Blogs – darin, Ängste und Vorbehalte vor Hilfen, Behandlungen und Therapie abzubauen und den Betroffenen oder den Angehörigen zu helfen, sich professionelle Hilfen zu holen.

Das unterstützt Menschen dabei, ihre Selbstständigkeit im Alter zu erhalten, chronischen Krankheiten vorzubeugen und dazu auch dringend notwendige, medizinische Hilfen in Anspruch zu nehmen.

Wir Ärzte und Ärztinnen der psychosomatischen Abteilung haben deshalb in den letzten Jahren Menschen auch medizinisch behandelt und dabei geholfen, ihren Diabetes wieder besser einzustellen, ihre Bluthochdruck Medikamente wieder einzunehmen, wieder besser zu schlafen und notwendige Kontrolluntersuchungen zu machen.

Therapeutisch haben wir vielen Menschen dabei geholfen, aktiver zu werden, sich wieder unter Menschen zu trauen, sich körperlich zu bewegen und ihre Depressionen und Ängste los zu werden.

Das sehen wir als die beste Vorsorge gegen Hilflosigkeit und Abhängigkeit. Das hilft älteren Menschen dabei: „Länger  daheim zu wohnen“, wie die SZ am Donnerstag, den 7.3.13 schrieb (siehe SZ-Archiv).

Unsere Vorstellung ist, moderne Techniken nicht nur dafür einzusetzen, „schnell Hilfen zu holen“, wie die SZ schrieb, sondern Menschen aktiv zu helfen, mit neuen Medien (Internet, E-Mail) zurecht zu kommen, um aktiv und in Kontakt mit ihren Angehörigen und Freunden zu bleiben. Dabei können Tablet Computer helfen, spielerisch ins Internet zu kommen, Leistungstests und diagnostische Tests zu machen und spielerische Konzentrations- und Gedächtnisübungen in der Gruppe mit Anderen der gleichen Altersgruppe zu trainieren.

Als Mediziner und Psychotherapeuten setzen wir uns für viel früheren Einsatz von neuen Techniken ein. Sie sollen helfen, dass Menschen selbstständig und aktiv im Kontakt mit ihren Mitmenschen bleiben, lange bevor sie „virtuelle Gesundheitsassistenten“ zum Blutdruckmessen und zum Alarmieren von Notärzten brauchen.

 

 

 

Burn out – Trend mit ernstem Hintergrund

Im letzten Herbst wurde eine Studie über „Psychische Gesundheit im Betrieb“ veröffentlicht, die der Ausschuss für Arbeitsmedizin im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellt hat. Darin wird der Anteil von Frühberentungen aufgrund von psychischen Erkrankungen mit 40 % angegeben. Diese Zahl steht im Einklang mit Erhebungen der Krankenkassen, die nachweisen, dass sich die Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen in den letzten 10 Jahren verdoppelt haben. Bei diesen Diagnosen sind die Krankschreibungen zudem länger als bei organischen, also körperlichen Erkrankungen.

Wochenzeitschriften wie Spiegel, Fokus, Stern berichteten schon von der „Generation Burn out„. Untersuchungen der AOK ergeben 130.000 Menschen, die 2012 wegen eines Burn out-Syndroms krankgeschrieben wurden. Eine Analyse des Robert Koch-Instituts (DEGS 2012) spricht von 2,6 % bis 5,8 % der Bevölkerung. Dabei wird die Diagnose „Burnout“ von vielen Psychiatern durchaus kritisch gesehen. Ist Burn out eine „Modediagnose“?

Die Fragestellung ist äußerst komplex. Zwar ist das Burnout-Syndrom in der Tat keine anerkannte einheitliche Krankheitsdiagnose, andererseits kann man damit aber Krankheitsbilder beschreiben, die zum großen Teil behandlungsbedürftig sind. Viele  Patienten kommen mit Burnout-Symptomen zu uns in das ausführliche Vorgespräch, welches wir obligatorisch vor einer Aufnahme auf Station oder in die psychosomatische Tagesklinik führen.

Was also ist mit dieser Diagnose gemeint und warum greift sie so um sich? Zunächst einmal: Unter einem Burn out-Syndrom leiden Menschen, die körperlich und psychisch erschöpft und ausgebrannt sind. Medizinisch liegen diesem Syndrom Depressionen unterschiedlichen Schweregrades sowie Somatisierungsstörungen zugrunde. Bei letzteren entstehen Schmerzen, obwohl sich weder am Herzen, noch an der Bandscheibe, noch dem Verdauungstrakt oder sonstigen Organen körperliche Erkrankungen oder Veränderungen zeigen.

Zahlreiche Untersuchungen weisen inzwischen nach, dass den im Burn out-Syndrom zusammengefassten Erkrankungen sowohl allgemeingesellschaftliche als auch betriebliche Ursachen sowie viele individuelle Faktoren zugrunde liegen.

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beziehen sich auf zunehmende Arbeitsunsicherheit, den immer größer werdenden Anteil von Menschen, die ihre Arbeitsverhältnisse als schwierig erleben und auf sich ständig beschleunigende Prozesse durch Automaten, Internet und permanente Kommunikationsbereitschaft mittels Mobiltelefon und E-Mail.

Bei den betrieblichen Ursachen spielen zum Beispiel Zusammenlegungen und Vergrößerungen von Firmen, die Schließung oder Verlagerung von Standorten und Arbeitsunsicherheit durch Kündigungswellen eine Rolle.

Individuelle Ursachen finden sich bei Menschen, die sich zum Teil ihr Leben lang für andere aufgeopfert haben, die Privates schlecht vom Beruflichen trennen können und teilweise schon in Kindheit und Jugend in eine Helferrolle hineingewachsen sind.

Dementsprechend finden sich beim Burnout-Syndrom typische Berufsgruppen wie Führungskräfte, Freiberufliche und Kreative sowie Menschen in sozialen Berufen. Auch Frauen und Männer in Familien, die sich um Haus und Hof, die Familie, die Kinder, um kranke und pflegebedürftige Eltern oder Schwiegereltern sorgen, sind oft betroffen.

Ziel der psychosomatischen Therapie ist, zunächst die depressive Erschöpfung zu behandeln und den Patienten bei der alternativen Lebensgestaltung zu unterstützen. Dazu gehört der schwierige Prozess, sich mehr abzugrenzen, mehr für sich selbst zu sorgen und an manchen Stellen auch „Nein“ zu sagen.

Wenn sich unsere Patienten nach der Behandlung wieder eigenständig für organisatorische Verbesserungen in ihrem Leben einsetzen, für besseres Zeitmanagement oder für Veränderungen im Beruf, dann hat sich unsere Arbeit gelohnt.