Sind APPs für psychische Gesundheit Überwachung ?

Self-Tracking oder Selbst-Überwachung liegen im Trend: in diesem Blog haben wir mehrfach über den neue Geräte zum Messen der Fitness, zur Datensammlung über Bewegung, Aktivität und zur Messung von Gesundheitsdaten (wie Blutdruck, Puls, Blutzucker usw.) berichtet.
(siehe auch Blog über Aktivitätstracker vom 9.8.2014).
Neu sind Versuche, auch die psychische Gesundheit zu messen und, was schlimmer ist, die psychische Gesundheit zu überwachen.
Dazu berichtet die SZ am 29.10.14 von abenteuerlichen Versuchen von Wissenschaftlern, Forschern und Psychologen von Menschen Profile zu erstellen, die Aufschluss über Aktivitäten, Bewegungsprofile, Sozialverhalten, über möglichen sozialen Rückzug, über die Anzahl der Kontakte und sogar über SMS mit „schwermütigen“ Inhalten geben.

Siehe dazu auch den Retweet auf der zweiten Seite dieses Blogs:
#Psychosomatik EBE @pso_ebe: So einfach ist es nicht !! „Max-Planck-Institut: Wie Ärzte mit einem Schnelltest Depressionen erkennen können.“
Das ist skandalös und unethisch. Hier werden simple Erfassungen von „Symptomen“, Ferndiagnosen und Verletzungen des Datenschutzes mit einander kombiniert.
Es klingt abenteuerlich, wenn  es in dem SZ-Artikel heisst: „ein Smartphone-Programm der Universität Michigan soll mit Sprachanalysen Posttraumatische Belastungsstörungen, Schizophrenien und Parkinson diagnostizieren können“.
Und auch an der Universität Bonn setzen Psychologen, Psychiater und Informatiker Smartphone-Daten bei der Behandlung psychischer Erkrankungen ein. Sie nennen das neue Forschungs-Gebiet „Psycho-Informatik“ !!
Es soll wohl wie eine Beruhigung klingen, dass die Informatiker sagen, sie wollten den Arzt nicht ersetzen.
Wem soll das nützen ? Den betroffenen Menschen sicher nicht !
An dieser Stelle muss wohl deutlich auf die Notwendigkeit von professioneller psychischer Diagnose-Stellung und Behandlung hingewiesen werden.
Für eine  medizinische und psychische/psychotherapeutische Diagnostik gibt es Standards:
1. Jede Untersuchung muss mit dem Einverständnis der Betroffenen stattfinden.
2. Diagnosen sind mehr als nur Sammlung von Symptomen (s.o.)
3. Zur Diagnostik und Behandlung von psychischen Erkrankungen ist die Anwesenheit von Experten (psychologischen oder ärztliche Psychotherapeuten) notwendig, die die Schweigepflicht garantieren.
4. Experten erkennen und fragen nicht nur nach den verbalen Äußerungen und Erklärungen von Betroffenen (den Worten). Zur Diagnostik gehören auch die nicht spontan geäußerten, non-verbalen Mitteilungen des „Patienten“. Um diese zu erkennen, zu verstehen und gezielt nachfragen zu können, ist ein medizinisch/therapeutisches Gespräch unter vier Augen notwendig.
5. Ärzte und Psychotherapeuten, die eine Diagnostik durchführen brauchen eine solide Ausbildung und jahrelange Erfahrung (Das wird durch Psychotherapeuten- und Ärztekammern sicher gestellt).
4. Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und alle anderen psychischen Erkrankungen haben Ursachen. Dies müssen in einem geschützten, der Schweigepflicht verpflichteten Gesprächssituation besprochen werden.
5. Viele Ursachen für Erkrankungen sind unbewusst. Es braucht ein Gegenüber und keine APPs, die den Betroffenen dabei helfen, mögliche Ursachen und Zusammenhänge bewußt zu machen.
Alles andere ist unverantwortlich.
Hier scheint es eher um wissenschaftliche Interessen und „Überwachung„, als um Hilfe, Beratung, Diagnostik, Behandlung und Wertschätzung zu gehen.
Nicht auszudenken ist der mögliche Missbrauch der so erfassten Daten durch Stellen, die diese Informationen nichts angehen (Arbeitgeber, Behörden….). Das wird in dem zitierten Artikel allerdings zum Schluss auch erwähnt.

Immer noch versuchen einzelne Psychotherapeuten, Homosexualität „zu behandeln“ !?

Durch einen Artikel in der ZEIT vom 8.5.14 und einen Beitrag vom gleichen Autor in der Sendung Panorama (ARD, 8.5.14, 21.45 Uhr) fühlt man sich in  finstere Urzeiten der Medizin und Psychotherapie zurück versetzt: „Wie mich zwei Ärzte von meinem Schwulsein heilen wollten“ titelt Christian Decker in der ZEIT.

Im Artikel beschreibt er „Evangelikale Christen“, ihren Dachverband, die Deutsche Evangelische Allianz, und den Bund Katholischer Ärzte, die Homosexualität als Sünde ansehen. In dem Artikel heisst es auch, der Evangelischen Allianz stünden 11,3 Millionen evangelische Christen nahe. Der Autor beschreibt sehr bizarre Kontakte und Gespräche mit Ärzten, die versucht haben, ihm ihre Weltanschauung einzureden oder ihre religiösen Überzeugungen überzustülpen.

Auch vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen habe ich Informationen über Versuche, so genannte „Umorientierungs“Therapien auf Kosten der Krankenkassen abzurechnen.

Zu einer pathologisierenden (krank machenden) Haltung gegenüber Homosexuellen haben auch die Psychoanalytischen Ausbildungsinstitute lange beigetragen, die bis vor einigen Jahrzehnten Homosexuelle nicht als Ausbildungskandidaten zugelassen haben.

In dem Artikel hat der Autor die Ärzte allerdings auch bewusst in eine Falle gelockt: Er hat vorgegeben, etwas gegen seine Homosexualität unternehmen zu wollen.

Schwieriger wird es für Betroffene, wenn Sie mit einem psychischen Problem eine Therapie suchen (und z.B. homosexuell sind). Wenn Ärzte dann ihre eigenen Wertvorstellungen in die Behandlungen einfliessen lassen, ohne das deutlich zu machen, wird ein Patienten manipuliert, ohne es gleich zu merken.

Das ist v.a. für selbst-unsichere Patienten ein großes Problem, die oft hilflos nach Ratschlägen suchen. Aber die Wertvorstellungen von Ärzten und Psychotherapeuten haben in Behandlungen und Therapien nichts zu suchen. Wenn Ärzte ihre eigenen Wertvorstellung in die Behandlung einfliessen lassen, arbeiten sie umprofessionell und gehen über den Behandlungsauftrag hinaus.

Das verstösst gegen die Berufsordnung, gegen wissenschaftliche Standards, gegen Ethik-Leitlinien und klingt nach Kassenbetrug !

Und die Vermutung liegt nahe, dass das häufiger vorkommt als öffentlich bekannt wird. Im Artikel wird auch beschrieben, dass einzelne Therapeuten, Kassenanträge stellen und vorgeben, eine „Richtlinienpsychotherapie“ durchzuführen, aber unter diesem Deckmantel versuchen, gesunde Menschen zu Patienten zu machen, ganz anders behandeln und sie zu manipulieren. (Das gibt es wohl nicht nur bei dem Thema der Homosexualität).

Zur Erklärung:

  • die Berufsordnungen verpflichten Ärzte und Psychotherapeuten, Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln und nicht Gesunde.
  • In den Psychotherapie-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss werden behandlungsbedürftige „psychische“ oder „seelische “ Erkrankungen definiert und die Therapien beschrieben, die auf Kosten der Krankenkassen abgerechnet werden dürfen.
  • Dabei handelt es sich um Psychotherapieverfahren, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Diese müssen in anerkannten Weiterbildungsinstituten gelernt werden und haben bestimmte Standards, die die Ärzte im ZEIT-Artikel nicht angewandt haben
  • Ethik-Leitlinien legen fest, dass Psychotherapien neutral, unabhängig und wertfrei zu sein haben. (Die meisten Ausbildungsinstitute und viele Berufsverbände haben solche Leitlinien, auf die sich die Mitglieder festlegen).
  • Es klingt sehr nach Kassenbetrug, wenn andere Themen behandelt werden oder anders behandelt wird, als im Kassenantrag angegeben wird.

Ws heisst das für Betroffene oder Menschen in Krisen?

  • klären Sie mit dem behandelnden Arzt und Psychotherapeuten die Therapieziele und den Behandlungsauftrag
  • informieren Sie sich nach dem Therapieverfahren
  • wehren Sie sich gegen Wertvorstellungen und Manipulationen von Ärzten und Psychotherapeuten
  • Suchen Sie sich eine Zweitmeinung, wenn Sie unsicher sind
  • Melden Sie solche Vorkommnisse bei den Ärztekammern oder Psychotherapeutenkammern !!

Sind Antidepressiva nützlich oder gefährlich?

Millionen Menschen leiden unter Depressionen. In unserer Psychosomatischen Abteilung bei München behandeln wir Depressionen mit Psychotherapien und, wenn notwendig, mit Medikamenten. Viele Menschen, die zu uns kommen, werden schon, z. T. seit Jahren mit Medikamenten behandelt. Sie haben einen berechtigten Anspruch darauf, dass sie ausführlich über Nutzen, Wirkungen und Nebenwirkungen und ggf. Risiken aufgeklärt werden.

Ein Artikel in der SZ vom 16. Februar in ihrer Wochenendbeilage lässt daran Zweifel aufkommen. Der Beitrag unter dem Titel: „Die Pille zum Glück; Wie die Pharmaindustrie trickste, um die Zulassung für gefährliche Antidepressiva zu erhalten“ beschäftigt sich mit  den Machenschaften von Pharmakonzernen und deren zweifelhaften Methoden, Medikamente auf den Markt zu bringen, indem Mediziner benutzt werden, Risiken und Nebenwirkungen heruntergespielt und Patienten getäuscht werden.

Am 18.2.13 sendet die ARD einen Beitrag: „Gefährliche Glückspillen“. Auch hier werden ähnliche Praktiken beschrieben.

Deshalb ist es in unserer Psychosomatischen Abteilung in Ebersberg bei München seit Jahren ein Anliegen, Patienten soviel Therapie wie möglich anzubieten und nur soviel Medikamente wie notwendig zu verschreiben.

Das alles geschieht nach gründlicher Aufklärung über Wirkungen und Nebenwirkungen und nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Patienten.

In unserem wöchentlichen Patientenseminar geben wir regelmäßig Vorträge über Depressionen, Behandlungen, Leitlinien und Nebenwirkungen von Medikamenten (siehe Vorträge in diesem Blog).

Außerdem stellen wir sicher, dass es in unserer Abteilung keine Interessenkonflikte von Chef oder Mitarbeitern und keine Bezahlungen oder Mittel von Pharmafirmen gibt.

 

 

Keine Zwangsbehandlung in der Psychosomatik

Am 17. Januar hat der Bundestag neue Regelungen für die Zwangsbehandlung von psychisch Kranken beschlossen.

Dies war notwendig geworden, weil der Bundesgerichtshof im letzten Sommer entschieden hat, die geltende Regelungen zur Zwangsbehandlung seien nicht zulässig, weil die rechtliche Grundlage fehle.

Die neuen Voraussetzungen legen zwar fest, dass wenn ein Patient stationär behandelt werden muss, er ausführlich aufgeklärt sein muss, daß ohne Behandlung ein erheblicher Gesiundheitsschaden droht und ein zweiter Arzt zu Rate gezogen werden muss.

Trotzdem sind diese Voraussetzungen nicht ausreichend. Die BundesPsychotherapeutenkammer kritisiert  z. B., dass „nicht alle Schutzmaßnahmen ausgeschöpft“ worden seien: Originalquelle www.bptk.de.  Zur Vermeidung gesundheitlicher Schäden seien andere Maßnahmen als Zwangsmaßnahmen geeignet, z. B. eine intensive 1:1 Betreuung. Außerdem regt der BPtK an, Patienten Behandlungsvereinbarungen anzubieten, wenn sie unter wiederkehrenden psychischen Erkrankungen leiden.

Aus Psychosomatischer Sicht gibt es jedoch noch weitere Kritikpunkte:

Alle Patienten haben grundsätzlich das Recht auf Selbstbestimmung und auch auf die Verweigerung von medizinisch notwendigen Behandlungen. Alles andere ist Körperverletzung. Das wissen alle Mediziner, die Patienten untersuchen und operieren. Deshalb verwenden Mediziner, Psychosomatiker und Psychiater täglich viel Zeit auf die Aufklärung, Motivation und „Überzeugungsarbeit“ von bzw. bei Patienten.

Das sichert Vertrauen auch in die therapeutische Beziehung, sichert den Behandlungserfolg und die Compliance (d. h. die Bereitschaft und Überzeugung der Patienten, dass die Behandlung in ihrem Sinne ist und sie die empfohlenen Maßnahmen und Medikamente auch anwenden und einnehmen).

Schwierig nach der neuen gesetzlichen Regelung sind auch die Grenzbereiche, wenn Ärzte und Therapeuten den Patienten „ihren“ Willen aufzwingen und Zwangsbehandlungen ohne Gefahr für Leib und Leben durchgeführt oder aufrecht erhalten werden.

Das geschieht leider noch häufig, z. B. auch in der Behandlung von Frauen mit Magersucht (Anorexia nervosa), die mitunter gegen ihren Willen wegen der drohenden Gesundheitsfolgen behandelt werden. Das geschieht immer wieder ohne Notwendigkeit und ohne den wissenschaftlichen Nachweis einer langfristigen Besserung, immer wieder mit katastrophalen Folgen für die wirklich notwendige dauerhaft stabile Arzt-Patientenbeziehung.

Wie sollen Patienten, die Zwangsbehandlungen befürchten müssen, ihren Ärzten und Therapeuten vertrauen und den wahren Schweregrad ihrer Erkrankung mitteilen ?