Schöner, schlanker, gesünder: Wozu dient die Selbstoptimierung ?

Immer mehr Menschen versuchen, ihr Leben und ihren Körper zu kontrollieren und zu steuern. PC und die Apps der neuen Smartphones helfen dabei. Doch ist das sinnvoll und gesund oder Zeichen von Narzissmus und Angst ?

In der Wochenzeitung Die Zeit vom 8.8.13 wird unter dem Titel: „Das tollere Ich“ beschrieben, wie Menschen versuchen, ihren Alltag, ihren Körper und ihr Verhalten zu optimieren.

Die kleinen Programme der neuen Mobiltelefone (Smartphones), die Apps, helfen dabei (z.B. „Nike+“, „Lose it“, 6Wunderkinder“, „Daytum“….) . Und so werden die Bewegung, das Essen, der Kalorienverbrauch, der Sport, die Produktivität bei der Arbeit, das Freizeitverhalten, der Schlaf und selbst die Finanzen gemessen, gespeichert und ständig kontrolliert.

Das gab es schon immer, aber die neuen kleinen Programme, die ständig tragbaren Messgeräte, Kleinst-Computer, Mobiltelefone und Apps helfen nicht nur bei der „Vermessung der Welt“ (Buchtitel), sondern auch bei der Vermessung des Menschen und des Alltags.

Und damit sind nicht die Helfer gemeint, die Blutdruck oder Blutzucker bei Patienten mit Bluthochdruck oder Diabetes messen.

Doch was soll das ? Warum diese Selbstoptimierung?

Geht es den Menschen, die das täglich machen, um einen besonderen Stolz, dass sie disziplinierter sind als andere? Das kennen wir von magersüchtigen Mädchen und Frauen, die stolz darüber sind, ihr Essverhalten und Gewicht 100%ig kontrollieren zu können.

Geht es darum, schöner, schlanker, stärker und gesünder zu sein? Ist es eine Form des Narzissmus, der Unsicherheiten überspielt und Großartigkeit anstrebt? Bewunderung statt Zuneigung und Liebe?

Soll die Angst vor Kontrollverlust gebändigt werden? Ist dieses Verhalten der Versuch von Menschen, ihre Angst davor, nicht  perfekt zu sein, zu überspielen und nicht spüren zu müssen? Dann handelte es sich möglicherweise um eine Form einer Angststörung?

Wie bei vielen dieser Themen gibt es keine eindeutige Erklärung oder Begründung aus Sicht der Psychosomatik oder Psychotherapie. Wir können an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass sich der zunehmende Trend zu Selbstoptimierung nicht unproblematisch ist und sich dahinter möglicherweise größere Probleme oder Konflikte verbergen.

Ob das so ist, sollte im Einzelfall geklärt werden.

Ein wichtiger Hinweis darauf, ob es sich bei der Selbstoptimierung um ein problematisches Verhalten handelt, könnte sein, wenn der (oder die) Betroffenen bemerkt, dass er abhängig von dieser Selbstkontrolle ist und diese nicht mehr problemlos stoppen kann. Dann stellen sich Verunsicherung und Ängste ein, wenn dieses Verhalten einmal unterbrochen wird. In so einem Fall ist es möglicherweise sinnvoll, einmal ein Gespräch mit einem Experten zu führen; nicht um eingeredet zu bekommen, irgend ein Verhalten sei krankhaft, sondern um zu verstehen, ob dieses Verhalten dazu dient, größere Problem und Konflikte zu überspielen. Dann kann z. B. eine therapeutische Hilfe sinnvoll und hilfreich sein.

„Ich habe Rücken“ – die Psychosomatik von Rückenschmerzen

Wir alle kennen Rückenschmerzen. In diesem Beitrag möchte ich erläutern, warum bei Rückenschmerzen psychosomatische Aspekte wichtig sind.

Rückenschmerzen, bzw. Kreuzschmerzen (Schmerzen des unteren Rückens) gehören zu den häufigsten Schmerzen überhaupt. Jeder ist einmal davon betroffen, aber ein Viertel der Beschwerden wird chronisch.* Die direkten Kosten durch Kreuzschmerzen werden mit 8,4 Milliarden Euro pro Jahr angegeben, 85% dieser Kosten entstehen durch Arbeitsausfälle.

Bei der Diagnostik und Behandlung Schmerzen müssen wir zwischen akuten und chronischen Rückenschmerzen unterscheiden. Und bei der Diagnostik von akuten Schmerzen ist auf jeden Fall eine genaue Diagnostik von ernsten zu behandelnden Erkrankungen notwendig. Dabei müssen v.a. Frakturen, Infektionen, Tumore und Nerveneinklemmungen (Radikulopathien, Neuropathien) mit Gefühlsstörungen und Lähmungen ausgeschlossen werden.

Doch schon zu diesem Zeitpunkt sollten Ärzte und Betroffene auf „spezifische Warnhinweise für abwendbare gefährliche Verläufe“ achten (Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerzen 2011*, siehe unter „Infos-Vorträge“ in diesem Blog). Und damit sind schmerzunabhängige Belastungsfaktoren gemeint:

  • nämlich berufliche Belastungen am Arbeitsplatz
  • Depressionen, starke Ängstlichkeit, „Katastrophisieren“, Vermeidungsverhalten, passives Schmerzverhalten

Das heißt: schon im akuten Stadium, schon bei anhaltenden Schmerzen von vier Wochen (trotz regelrechter Diagnostik und Behandlung) sollten soziale und psychische Faktoren, also psychosomatische Aspekte in die Behandlung mit einbezogen werden (siehe Leitlinie*).

Auch zur Diagnostik von akuten Rückenschmerzen gibt die Nationale Versorgungsleitlinie eindeutige Empfehlungen: So sollte auf bildgebende Diagnostik (Röntgen, CT, MRT) ganz verzichtet werden, wenn es keinen medizinischen Anhalt für eine der oben genannten ernsten Erkrankungen gibt. Eine „routinemäßige Bildgebung wird in den entsprechenden Studien übereinstimmend abgelehnt.“ *

Tritt bei subakuten Schmerzen nach 6-wöchiger regelrechter (leitliniengerechter) Therapie keine Besserung ein, wird eine einmalige bildgebende Diagnostik empfohlen. Bei psychischer oder sozialer Belastung sollte nach 12 Wochen nur dann eine Röntgen- oder andere Diagnostik durchgeführt werden, wenn es Anhaltspunkte für eine körperliche Schädigung gibt.

Zur Behandlung von chronischen Kreuzschmerzen werden in den Leitlinien Eckpunkte festgelegt: es sollte eine Aktivierung der Betroffenen angestrebt und möglichst frühzeitig eine multimodale und interdisziplinäre Behandlung eingeleitet werden (Nationale Versorgungsleitlinien, Kapitel 9). Damit ist eine Behandlung gemeint, bei der verschiedene Bausteine auf der Grundlage einer interdisziplinären Untersuchung inhaltlich und zeitlich abgestimmt werden und auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden.

In unserer Psychosomatischen Abteilung bei München findet exakt diese Umsetzung der Nationalen Versorgungsleitlinie seit inzwischen sechs Jahren statt: nach eingehender Diagnostik (z.T. durch die ärztlichen Vorbehandler) führen wir eine interdisziplinäre Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen durch und stimmen die Behandlung in täglichen Fallbesprechungen auch mit der Physiotherapie-Abteilung unserer Klinik individuell ab. Mehr Informationen dazu finden Sie auch auf der Seite zur Schmerztherapie in diesem Blog.

Wenn Sie sich weiter über Rückenschmerzen und Psyche informieren wollen, empfehle ich Ihnen folgende Links:

http://www.medizin-im-text.de/blog/2011/452/der-ruecken-und-die-psyche/

http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/ruecken/symptome/tid-15400/psychosomatik-wenn-die-seele-den-ruecken-quaelt_aid_432388.html

http://web.de/magazine/gesundheit/psychologie/14892884-rueckenschmerzen-psyche.html

 

In der Psychosomatik werden Schwerkranke mit Psychotherapie behandelt

„Schwerkranke werden schlechter versorgt.“ Diesen Eindruck versuchte ein Artikel in Spiegel-online am 26.6.13 zu vermitteln (siehe auch retweet auf @pso_ebe). In dem Artikel heisst es: „Das Budget für psychisch Schwerkranke schrumpft zugunsten weniger belasteter Menschen wie Burn out-Patienten. Experten warnen vor der Entwicklung einer Zweiklassenpsychiatrie – und dem Entgeltsystem der Kassen“.

Und dieser Artikel ist aus mehreren Gründen ärgerlich: er ist irreführend, er richtet sich gegen die Psychosomatik und Psychotherapie und gegen Patienten, die unter schweren Erkrankungen leiden, und bei denen aufwendige, intensive tägliche Psychotherapie in psychosomatischen Abteilungen oder psychotherapeutischen Abteilungen in der Psychiatrie notwendig sind (wie z.B. Burn out-Patienten).

In unserer Psychosomatik bei München behandlen wir seit Jahren Menschen mit Burn out Syndrom, bei denen zur Heilung eine intensive tägliche Psychotherapie notwendig ist. Diese Patienten sind schwer erkrankt und brauchen stationäre oder tagesklinische Behandlungen (s.u.). 

Herr Prof. Maier, Präsident der DGPPN, wird im Artikel mit den Worten zitiert: „Insbesondere Menschen mit chronischen und schweren psychischen Krankheiten sind benachteiligt.“ Von Herrn Prof. Beine, (ACKPA) wird  berichtete, er hätte Gespräche mitgehört, „welche Erkrankungen lukrativer“ seien. Frau Dr. Haudt, Vorsitzende der Bundesdirektorenkonferenz, warnt nach Worten der Autorin davor, dass auch „die Klinken in Gefahr laufen würden, in eine Versorgungsschieflage zu geraten.“

Mit all dem entsteht für die Öffentlichkeit und Patienten der Eindruck, die Finanzierungen von Behandlungen seien in Gefahr, „Schwerkranke würden schlechter versorgt“ und Burn out sei keine ernste Erkrankung, im Vergleich zu schweren psychiatrischen Erkrankungen wie z.B. chronische Schizophrenien.

Aber hinter einer „flotten Schreibe“ verstecken sich viele Fehler, tendenziöse Darstellungen, Interessen von Fachverbänden und wohl auch falsche Zitate von verantwortlichen Fachvertretern.

1. Denn das neue PEPP-Entgeltsystem soll gerade eine leistungsgerechte Vergütung ermöglichen. Es ist das ausgesprochene Ziel dieser Neuordnung der Vergütung, in Psychiatrie und Psychosomatik schwere Erkrankungen mit hohem Behandlungsaufwand höher zu vergüten als Behandlungen die weniger aufwändig sind und weniger Kosten verursachen (siehe mehr zum PEPP-Entgeltsystem in diesem Blog).

Deshalb brauchen sich die Fachverbände keine Sorgen über die eigenen Patientengruppen machen, sondern können ihren Beitrag dazu leisten, dass verschiedenen Behandlungen (intensive Betreuung, intensive Psychotherapie, medikamentöse Behandlungen) im neuen PEPP-Entgeltsystem gut abgebildet und angemessen vergütet werden.

Dieses Entgeltsystem kommt auch nicht auf Veranlassung der Kassen, sondern ist ein Gesetz der Bundesregierung, das durch die Selbstverwaltung umgesetzt werden muss !!!

2. Psychotherapeutische Behandlungskonzepte, die den Kern störungsspezifischer Behandlungsangebote bilden, helfen auch bei schwersten psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Essstörungen oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen. „Eine schwere Magersucht, Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder chronische Zwangserkrankung werden in psychosomatischen Kliniken sehr gut und vor allem mit langfristigem Erfolg psychotherapeutisch behandelt. Eine medikamentöse Behandlung alleine reicht bei diesen Krankheitsbildern nicht aus“, so Dr. Claus Krüger, Vorstandsmitglied des VPKD. „Das zeigt insbesondere die Qualitätsmessung unserer Mitgliedskliniken.“ Der VPKD erhofft sich vom neuen Entgeltsystem und einer begleitenden Qualitätsmessung künftig mehr Transparenz über die Leistungen von Psychosomatik und Psychiatrie – sowohl bei Behandlungsergebnissen als auch beim dahinter stehenden Aufwand (Zitat aus einer Presseerklärung des VPKD).

3. Burn out-Erkrankungen sind ernste Krankheitsbilder, die früh diagnostiziert und je nach Schweregrad behandelt werden müssen. Denn hinter dem Begriff Burn out verbergen sich schwere Depressionen und Somatisierungsstörungen (siehe die Beiträge dazu in diesem Blog). Und niemand würde bestreiten, dass es sich hierbei um ernste, behandlungsbedürftige Erkrankungen handelt.

Denn die Zunahme der psychischen Erkrankungen in den Gesundheitsberichten der Krankenkassen (AOK, Barmer-GEK, TKK) gehen auf das Konto von Depressionen, Burnout, Somatisierungsstörungen und weiteren ernst zu nehmenden Erkrankungen, die nur mit Psychotherapie ggf. mit zusätzlicher medikamentöser Behandlung) leitliniengerecht behandelt werden können und müssen.

Dazu sind Psychosomatiker wie Psychiater gemeinsam aufgefordert.

Resilenz* – Das Problem mit der Widerstandskraft

*An der Schreibweise können Sie sehen, dass auch ich ein Problem mit der Resilienz habe. – (Vielen Dank an die Patientin, die mich darauf hingewiesen hat).- In diesem Blog haben wir schon an einigen Stellen über positives Denken und die Frage, warum manche Menschen krank werden und andere nicht, geschrieben (siehe dort).

Zwei Bücher über Resilienz haben mich jetzt dazu veranlasst, auf diesen Begriff und das dahinter liegende Konzept noch einmal einzugehen.

M. Gruhl und H. Körbacher* schreiben: „Mit Resilienz leichter durch den Alltag.“ Im Buch von Frau Prof. Heller** heisst es: Wir alle brauchen Resilienz, eine innere Stärke, um mit den vielen Herausforderungen im Leben gut umgehen zu können.“ und: „Resilienz können Sie gezielt trainieren, indem Sie sieben Schlüsselstärken durch bestimmte Übungen entwickeln, ausbauen und festigen.“

Nach den Ausführungen in beiden Büchern handelt es sich bei den Schlüsselstärken oder Grundhaltungen um Optimismus, Akzeptanz, Selbstwirksamkeit, Verantwortung, Netzwerkorientierung, Lösungsorientierung und Zukunftsorientierung. Diese zu entwickeln und auszubauen, soll Stabilität im Alltag bringen.

Die Autoren betonen, dass der Ausbau dieser Schlüssel auch die Widerstandkraft gegen Krisen stärkt. In beiden Büchern leiten sie dazu an, wie man diese Fähigkeiten lernen und „trainieren“ kann.

Zwar betont v.a. Frau Heller, dass der Umgang mit Problemen und Schwierigkeiten und die Widerstandskraft normalerweise in der Kindheit gelernt werden. Sie zählt auch die fördernden Bedingungen auf, die zu dieser Widerstandskraft führen : enge soziale Bindungen zu mindestens einer Bezugsperson, Akzeptanz, Respekt und Unterstützung.

Doch alle Autoren betonen, dass Erwachsene diese Widerstandskraft nur durch Training selbstständig und ohne Hilfe erlernen können.

Dazu finden sie z.T. blumige Begriffe wie: das Immunsystem der Seele oder die Stehaufmännchen-Kompetenz.

Aber hier greifen diese Konzepte zu kurz !

Denn die tägliche Praxis in Psychotherapien und Psychosomatik zeigt, dass Verhaltensänderungen nicht nur durch Erkenntnisse und Kraftanstrengungen allein erreicht werden kann. Dann müssten Menschen in Krisen nur die richtigen Bücher lesen und sich um diese „Schlüsselstärken“ bemühen. Patienten, die trotz Durchblutungsstörungen und Herzerkrankungen rauchen, oder trotz Diabestes zuviel essen, wären selber schuld, weil sie sich nicht genug bemühen.

Das Problem ist doch eher, dass wir alle immer wieder viele Dinge machen, von denen wir wissen, dass sie uns nicht gut tun oder ungesund sind. Das gilt sowohl für unser Privatleben als auch für den Beruf.

Dafür gibt es Gründe, die uns meist nicht bewusst sind und die der Vernunft allein nicht zugänglich sind. Hier reichen gute Vorsätzen allein nicht. Freud sprach vom Unbewussten. Wir denken, es hat viel mit der Lebensgeschichte zu tun und mit Affekten und Erlebnissen, die nicht auszuhalten waren und verdrängt wurden.

Das heisst, wir haben es alle immer wieder mit Lebenssituationen zu tun, in denen wir überfordert sind und professionelle Hilfe, Coaching und Therapien brauchen.

In unserer Psychosomatik bei München helfen wir Menschen in Krisen und mit Depressionen, die zu uns gekommen sind, weil sie selbst nicht mehr weiter gekommen sind und intensive tägliche Therapie brauchen, um diese eigenen Kräfte erst wieder zu entdecken und zu spüren, an welchen Stellen sie sich überfordert haben. All diesen Menschen hilft das Resilienz-Konzept nicht weiter.

Bei vielen Betroffenen verstärkt dieses Konzept nur die Selbstvorwürfe und Versagensgefühle. Und wir behandeln immer wieder Menschen, die durch eine zu starke Fixierung auf das Resilienz-Konzept noch tiefer in ihre Krisen geraten sind.

Weil wir uns nicht einfach nach den Anleitungen und Tips von solchen Büchern, wie dem von Frau Prof. Heller* selbst aus Krisen helfen und vor Überforderungen schützen können.

* M. Gruhl und H. Körbacher: Mit Resilienz leichter durch den Alltag, Kreuz Verlag 2012

** J.Heller: Resilienz, sieben Schlüssel für mehr innere Stärke, G U Verlag 2013

Brauchen wir die Diagnose-Kataloge: ICD-10 oder DSM V ?

Am 18. Mai 2013  wurde in den USA der neue  Diagnose-Katalog für psychische Erkrankungen vorgestellt (DSM V*). Verfasser dieses Kataloges  ist die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft (APA**).

Nun könnten wir uns fragen, welche Bedeutung dieser neue Diagnose-Handbuch für die Patienten, die deutsche Psychiatrie und Psychosomatik und speziell für unsere Psychosomatik bei München hat; zumal wir in Deutschland die Erkrankungen nach einem anderen System, dem ICD-10*** der WHO verschlüsseln.

Für Patienten muss man zuerst auch erklären, wozu diese Verschlüsselung überhaupt notwendig ist: Es handelt sich in erster Linie um Abrechnungsziffern, die die Ärzte und Krankenhäuser den Krankenkassen mitteilen. Aber diese Verschlüsselungen bestimmen auch, ob es sich bei bestimmten Symptomen überhaupt um eine Erkrankung handelt, die auf Kosten der Krankenkasse behandelt werden kann.

Und der amerikanische Diagnose-Katalog gilt als Vorreiter für den ICD Katalog. Viele Neuerungen wurden schon in der Vergangenhait einige Jahre später in den ICD übernommen. Und eine Aktualisierung des ICD ist für 2011 angekündigt (ICD 11).

Sie sehen also, es geht auch um Definition von Erkrankungen, Bezahlung von Behandlungen und Medikamenten, evt. um Berentungen und neue Forschungen.

Und deshalb ist z.B. interessant, dass das Burn out Syndrom auch in der neuen Klassifikation weiterhin keine eigenständige  Diagnose ist. Das halten wir, wie viele Experten, für kritisch.

Andere Erkrankungen, wie z.B. das ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitäts-Syndrom) wurde auf Erwachsene ausgeweitet.

Und  es gibt neue Diagnosen im DSM-Katalog:  endlich wurde die „Binge Eating Disorder“ aufgenommen. Hierbei handelt es sich um eine Essstörung bei übergewichtigen und adipösen Menschen, die dringend behandlungsbedürftig ist (siehe Essstörungen in diesem Blog).

Die Bundespsychotherapeutenkammer, BPtK, kritisiert aber zu Recht, dass im neuen Katalog DSM V die akute Trauer, z.B. nach Verlust eines geliebten Menschen, schon nach zwei Wochen als Krankheit eingestuft wird. Dabei betont Prof. Richter, BPtK: „Wer intensiv trauert, erfüllt zwar häufig formal die Kriterien einer Depression, ist aber nicht krank.“ und „Die meisten Trauernden verkraften ohne Behandlung den Verlust einer geliebten Person.“ Die Dauer der Trauer und des Schmerzens allein können also keine Kriterien für eine Behandlungsbedürftigkeit sein.  Siehe dazu auch <http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/trauer-ist-k.html>.

Es ist also verständlich, dass einige Kritiker in Fachzeitschriften und Medien fragen: „Werden Leute krank gemacht?“ Die TAZ titelte: „Wo fängt irre an? Echt krank oder normal verrückt? http://www.taz.de/!116007/.

Dabei darf nicht vergessen werden: jeder Mensch hat das Recht und in Deutschland auch den Anspruch auf eine angemessene Berhandlung. Um entscheiden zu können, welche Behandlung in welchem individuellen Fall die beste ist, sind eine genaue Diagnostik und Vergleichbarkeit der Diagnosen notwendig. Nur so können Therapiestudien durchgeführt werden und verschiedene Behandlungen miteinander verglichen werden. (Immer wieder besteht sonst die Gefahr, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden). d.h. diese Diagnose-Kataloge sind auch zur Qualitätssicherung notwendig.

Und das DSM hat schon bisher einen großen Vorteil gegenüber der Klassifikation der WHO, die in Deutschland verwendet wird: es werden nicht nur Symptome diagnostiziert, sondern auch tieferliegende Persönlichkeitsprobleme und soziale Faktoren, die bei Behandlungen berücksichtigt werden müssen. (Dazu an anderer Stelle später mehr in diesem Blog).

Es gibt weitere Details, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Siehe dazu auch in den Suchmaschinen: DSM V

*DSM V:  Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorder V

**APA: American Psychiatric Association

***ICD 10: International Classification of Mental and Behavioral Disorders