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Was sind eigentlich psychische Erkrankungen und wie beeinflussen sie die Arbeitsfähigkeit?

Ein Artikel in der ZEIT vom 7.November hat mich sehr verwirrt. Ich behandele seit mehr als 23 Jahren Patienten mit psychischen Erkrankungen. Aber die Patienten, die in dem Artikel dargestellt werden, sind andere Menschen, als die, die ich aus meiner täglichen Arbeit in Klinik und Universität kenne. Menschen, die ich behandelt habe, brauchten intensive Psychotherapie und waren fast alle arbeitsfähig, wenn sie nicht in Ausbildung, zu Hause bei den Kindern oder in Rente waren.

Und das scheint daran zu liegen, dass in dem Artikel in der ZEIT  psychische Erkrankungen mit Psychosen gleichgestellt werden. Hier wird alles in einen Topf geworfen und der Eindruck erweckt, als wären Schizophrenien typische psychische Erkrankungen. Verwirrenderweise heisst es dann auch, nur 6 % der Menschen mit psychischen Erkrankungen (?)  hätten eine Vollzeitstelle.

Dabei sind von Schizophrenien, also schweren Psychosen, die oft chronisch verlaufen, nur 0,7 bis 1,4 % der Menschen betroffen. Das Krankheitsbild der Schizophrenie soll hier nicht näher beschrieben werden. Das können Sie im folgenden Link nachlesen: (Gesundheitsberichterstattung des Bundes). Die Häufigkeit (Prävalenz) von Schizophrenien ist über alle Kulturen gleich und hat in den letzen Jahrzehnten nicht zugenommen.

Zugenommen haben aber psychische Erkrankungen, die in Zusammenhang mit Stress, beruflichen unsd privaten Belastungen und Überforderungen stehen. Das belegen auch Zahlen der Gesundheitsreporte der Krankenkassen, wie der DAK 2013. Inzwischen ist fast jeder dritte Arbeitnehmer betroffen. Und die meisten arbeiten trotz der Beschwerden und Erkrankungen weiter (ganz im Gegensatz zur Situation, wie sie im ZEIT-Artikel geschildert wird).

Und Menschen mit diesen Beschwerden und Erkrankungen, die in Zusammenhang mit akuten oder chronischen Belastungen stehen, brauchen qualifizierte Behandlungen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, wie sie von ambulanten ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten und in psychosomatischen Kliniken angeboten werden.

Wovon ist also die Rede? Und ist der Autorin ein Vorwurf zu machen?

Sie bezieht sich auf eine aktuelle Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, DGPPN (S3-Leitlinie zu „Psychosozialen Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen„). Aber auch hier wird alles in einen Topf geworfen. Die Leitlinie gibt ambulante Behandlungsempfehlungen für alle psychischen Erkrankungen, unabhängig von der Art und Schwere der Erkrankungen.

Interessanterweise kommt die Psychotherapie als eine der wichtigsten Behandlungen im ambulanten Sektor in der Leitlinie überhaupt nicht vor.

Das ist so, als würden alle organischen Erkrankungen in einen Topf geworfen werden. Vergleichen wir denn etwa eine Blinddarmentzündung mit einer schweren Krebserkrankung und bekommen alle die gleichen Behandlungen?

Darüber hinaus hat diese Leitlinie einige wissenschaftliche Schwächen (z.B. kann sie sich nicht auf kontrollierte Studien berufen). Interessanterweise kommt diese Leitlinie zu einem Zeitpunkt, an dem der Gesetzgeber die Selbstverwaltung beauftragt hat, eine neues Entgeltsystem (also eine neue Bezahlung für die Kliniken) zu schaffen. Dieses PEPP-Entgeltsystem soll zwischen einzelnen Erkrankungen, Schweregraden, Patientenmerkmalen und unterschiedlichen Behandlungen unterscheiden.

Kommen hier evt. berufspolitische Interessen im Gewand einer Leitlinie daher? (Und für die Fachleute: Geht es evt. um andere Abrechnungssysteme, wie etwa Regionalbudgets?)

Das wäre für die Betroffenen fatal. Denn Menschen mit Depressionen, Angststörungen, Zwangserkrankungen, die alle in dieser Leitlinie erwähnt werden, profitieren nach allen vorhandenen Leitlinien und wissenschaftlichen Studien von qualifizierten Psychotherapien. Damit sind sie in den meisten Fällen in absehbarer Zeit wieder arbeitsfähig. Die Dauer der Krankschreibung wegen psychischer Erkrankungen wird auch von den Krankenkassen mit durchschnittlich 29 Tagen angegeben. Das heißt: Menschen, die qualifiziert behandelt werden, sind im Durchschnitt nach diesen 29 Tagen wieder arbeitsfähig !

Wie normal ist eigentlich Gewalt in Beziehungen heute?

Eine Studie der Fachhochschule Fulda  bringt erschreckende Ergebnisse: beinahe zwei Drittel der deutschen Jugendlichen hat in Beziehungen schon einmal Gewalt erlebt ! Heisst das, dass Gewalt in Beziehungen fast “ normal“ ist ? Und sind v.a. Mädchen und junge Frauen betroffen ? In der Süddeutschen Zeitung vom 25.9.13 werden diese Ergebnisse ausführlich beschrieben. Auch im Tagespiegel werden die Studienergebnisse beschrieben.

Und hier geht es um körperliche und sexuelle Gewalt. Doch Gewalt in Beziehungen fängt schon früher an: noch mehr Menschen haben böse Erfahrungen mit emotionaler und psychischer Gewalt machen müssen.

 

Woran liegt das und was können Betroffene tun?

Schöner, schlanker, gesünder: Wozu dient die Selbstoptimierung ?

Immer mehr Menschen versuchen, ihr Leben und ihren Körper zu kontrollieren und zu steuern. PC und die Apps der neuen Smartphones helfen dabei. Doch ist das sinnvoll und gesund oder Zeichen von Narzissmus und Angst ?

In der Wochenzeitung Die Zeit vom 8.8.13 wird unter dem Titel: „Das tollere Ich“ beschrieben, wie Menschen versuchen, ihren Alltag, ihren Körper und ihr Verhalten zu optimieren.

Die kleinen Programme der neuen Mobiltelefone (Smartphones), die Apps, helfen dabei (z.B. „Nike+“, „Lose it“, 6Wunderkinder“, „Daytum“….) . Und so werden die Bewegung, das Essen, der Kalorienverbrauch, der Sport, die Produktivität bei der Arbeit, das Freizeitverhalten, der Schlaf und selbst die Finanzen gemessen, gespeichert und ständig kontrolliert.

Das gab es schon immer, aber die neuen kleinen Programme, die ständig tragbaren Messgeräte, Kleinst-Computer, Mobiltelefone und Apps helfen nicht nur bei der „Vermessung der Welt“ (Buchtitel), sondern auch bei der Vermessung des Menschen und des Alltags.

Und damit sind nicht die Helfer gemeint, die Blutdruck oder Blutzucker bei Patienten mit Bluthochdruck oder Diabetes messen.

Doch was soll das ? Warum diese Selbstoptimierung?

Geht es den Menschen, die das täglich machen, um einen besonderen Stolz, dass sie disziplinierter sind als andere? Das kennen wir von magersüchtigen Mädchen und Frauen, die stolz darüber sind, ihr Essverhalten und Gewicht 100%ig kontrollieren zu können.

Geht es darum, schöner, schlanker, stärker und gesünder zu sein? Ist es eine Form des Narzissmus, der Unsicherheiten überspielt und Großartigkeit anstrebt? Bewunderung statt Zuneigung und Liebe?

Soll die Angst vor Kontrollverlust gebändigt werden? Ist dieses Verhalten der Versuch von Menschen, ihre Angst davor, nicht  perfekt zu sein, zu überspielen und nicht spüren zu müssen? Dann handelte es sich möglicherweise um eine Form einer Angststörung?

Wie bei vielen dieser Themen gibt es keine eindeutige Erklärung oder Begründung aus Sicht der Psychosomatik oder Psychotherapie. Wir können an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass sich der zunehmende Trend zu Selbstoptimierung nicht unproblematisch ist und sich dahinter möglicherweise größere Probleme oder Konflikte verbergen.

Ob das so ist, sollte im Einzelfall geklärt werden.

Ein wichtiger Hinweis darauf, ob es sich bei der Selbstoptimierung um ein problematisches Verhalten handelt, könnte sein, wenn der (oder die) Betroffenen bemerkt, dass er abhängig von dieser Selbstkontrolle ist und diese nicht mehr problemlos stoppen kann. Dann stellen sich Verunsicherung und Ängste ein, wenn dieses Verhalten einmal unterbrochen wird. In so einem Fall ist es möglicherweise sinnvoll, einmal ein Gespräch mit einem Experten zu führen; nicht um eingeredet zu bekommen, irgend ein Verhalten sei krankhaft, sondern um zu verstehen, ob dieses Verhalten dazu dient, größere Problem und Konflikte zu überspielen. Dann kann z. B. eine therapeutische Hilfe sinnvoll und hilfreich sein.

Immer mehr Menschen sind „Ausgebrannt“ und leiden unter Burn out

In dieser Woche überschlagen sich die Medien mit Berichten zu Stress am Arbeitsplatz (Fokus, 10.6.13), Ursachenforschung zur Zunahme psychischer Erkrankungen (SZ, 11.6.13) und vorzeitigem Ruhestand durch psychische Erkrankungen (SZ, 12.6.13).

Der letzte Artikel ist besonders interessant, da er die Zahlen der Deutschen Rentenversicherung, DRV, beschreibt: in Deutschland gibt es 1,67 Millionen „Erwerbsminderungsrentner“, die im Schnitt mit 50 Jahren eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen. Das waren im letzten Jahr 190.000 Menschen. Die Ursachen für die frühzeitige Berentung waren in 42,1 % psychische Erkrankungen, v.a. Depressionen und Ängste. Nach den Zahlen der DRV ist das eine Zunahme von 1,2 % zum Vorjahr und eine Verdoppelung zum Jahre 1996 (20%).

Die Fachleute der Rentenversicherung nennen dafür drei Ursachen:

  • seelische Erkrankungen sind heute weniger tabuisiert, d.h. Ärzte diagnostizieren sie öfter und Menschen bekennen sich häufiger dazu.
  • Die Arbeitswelt hat sich dramatisch geändert. Im Artikel wird genannt, dass körperliche Belastungen abnehmen, aber psychische Belastungen zunehmen. Dazu kommt sicher, wie an anderer Stelle in diesem Blog beschrieben, dass sich die Arbeitswelt in den letztenJahrzehnten massiv verändert hat: Arbeitsplatzunsicherheit, drohender Jobverlust und Arbeitsverdichtung bestimmen den beruflichen Alltag.
  • der „Ernstfall tritt heute früher ein, denn 36% der Betroffenen sind  jünger als 50 Jahre.

Die Zahlen belegen aber auch, dass die Betroffenen von einer Erwerbsminderungsrente allein kaum leben können, denn v.a. Menschen mit niedrigen Löhnen und z.T. langer Arbeitslosigkeit sind davon betroffen. Deshalb müsse jeder vierte Haushalt Wohngeld, Hartz IV, staatliche Grundsicherung oder Sozialhilfe beantragen. Politiker fordern deshalb: „Wenn man so krank wird, dass man nicht mehr arbeiten kann, darf man nicht deshalb arm werden (K.-J. Laumann, CDA).

Aus diesen Gründen wird verständlich, warum sich die Politik, die Kostenträger und viele Klinken vermehrt mit Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen, Somatisierungsstörungen (Erklärung siehe in diesem Blog) und Burn out  beschäftigen und Fachleute zu Prophylaxe und Vorbeugung, fachärztlicher Diagnostik und Behandlung raten.

Deshalb führen wir in unserer Psychosomatischen Abteilung bei München seit Jahren Hunderte von diagnostischen Vorgesprächen und spezialisierte Behandlungen in Station und Tagesklinik für Menschen mit diesen Erkrankungen durch.

Mobbing und die gesundheitlichen Folgen – Wir haben Erfahrungen damit

Viele Menschen kommen in unsere Psychosomatische Abteilung bei München mit Arbeitsplatzkonflikten. Immer mehr sind überfordert und leiden unter Burn out (siehe dazu die Beiträge in diesem Blog). Immer wieder ist aber auch Mobbing am Arbeitsplatz der Grund für die Aufnahme in unsere Station oder Tagesklinik.

Wir helfen Ihnen, mit den Folgen von Mobbing zurecht zu kommen und Arbeitsplatzkonflikte von persönlichen Konflikten zu unterscheiden; damit sie wieder in der Lage sind, gesund zu werden und Ihre berufliche Situation zu klären.

Doch was ist Mobbing eigentlich genau und woher kommt der Begriff ?

Konrad Lorenz hat den Begriff Mobbing als Erster  1963 verwendet. Er bezeichnete damit Gruppenangriffe auf einen überlegenen Feind. Der Arzt Peter Heinemann bezeichnete damit Gruppenangriffe auf eine von der Norm abweichende Person.

Die erste systematischen Forschungsergebnisse zu Mobbing stammen vom deutsch-schwedischen Arbeitspsychologen/Mediziner Heinz Leymann.

Definition: Mit Mobbing werden feindliche und unethische Verhaltensweisen, negative Kommunikation, destruktive Handlungen bis zu Isolation, persönliche Angriffe gegenüber einer Person und Ausgrenzung am Arbeitsplatz bezeichnet. Sie führen zur nachhaltigen Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit und Befindlichkeit. Das kann zu schweren Depressionen, Angstzuständen, schweren Selbstwertkrisen und zahlreichen körperlichen Beschwerden (Somatisierungsstörungen) und Suchtverhalten führen.

Die Angriffe gehen gezielt auf die sozialen Beziehungen, das soziale Ansehen, die Möglichkeit, sich mitzuteilen, auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation und auf die Gesundheit. Meist finden keine offenen Gespräche, keine Klärungen mehr statt. Stattdessen wird der Kontakt verweigert, werden die Betroffenen ausgegrenzt und gleichzeitig mit abwertenden Blicken und Gesten verunsichert und irritiert. Das kann bis zu Telefonterror, mündlichen oder schriftlichen Drohungen gehen. Außerdem werden gezielt Gerüchte gestreut und die Betroffenen lächerlich gemacht.

Neuere Untersuchungen geben die Häufigkeit von Mobbing mit 11,3% der Erwerbstätigen an (n= 4.396). Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Im Gesundheits- und Erziehungsbereich, im Öffentlichen Dienst und im Kreditgewerbe ist Mobbing am weitesten verbreitet.

Die Ursache von Mobbing liegt in den meisten Fällen in einem Konflikt, der nicht gelöst wird und unter der Oberfläche weiterschwelt. Mobbingbetroffene können Symptomträger einer kranken Organisation sein. Der Mobbingprozess kann stabilisierende Funktion für die Gruppe oder Organisation haben.

Immer wieder kommen bei Mobbing drei verschiedene negative Faktoren zusammen: Gesellschaftliche Faktoren (Arbeitsunsicherheit), betriebliche Faktoren (unklare Strukturen, schwache Führung) und persönliche Faktoren (Schwierigkeit der Betroffenen, sich zu wehren).

Zur Vermeidung von Mobbing sind klare Strukturen und transparente Organisation, offene und direkte Kommunikation und klare Kompetenzen und Zuständigkeiten notwendig.

Zu den individuellen Maßnahmen gehören die Mobilisierung von Unterstützung und Stärkung der Eigenkompetenz, die Einleitung von rechtlichen Schritten, ggf. Kündigung und, wenn notwendig, der Beginn eine Therapie, wie wir sie in unserer Abteilung anbieten.