Corona, Krebs und Psyche

Die Corona-Pandemie hält die Welt in Atem. Täglich werden wir mit neuen Informationen zu Infektionszahlen, Verdopplungsraten, den Situationen in den Krankenhäusern weltweit, den Folgen für die Wirtschaft und den Reaktionen der Politik überschwemmt.
Es scheint, als hätten Virologen die Steuerung der Politik übernommen.
Und die Politik hat einmal kurzerhand Verfügungen mit weitreichenden Auswirkungen für die Gesundheitsversorgung, die Krankenbehandlung, die Gesellschaft und die Demokratie erlassen.
Und die Medien begleiten diese einmaligen Maßnahmen v.a. mit zusätzlichen Informationen und „Brennpunkten“.

Aber wo bleibt die kritische Berichterstattung ? Wo die differenzierte Auseinandersetzung und Abwägung von „Chancen“, „Notwendigkeiten“, „Risiken“ und „Gefahren“ dieser Maßnahmen für die Gesellschaft und jeden Einzelnen?
Wer hat sich mit den psychischen Folgen der Massnahmen für die Menschen beschäftigt?
Nur am Rande ist von den Auswirkung der Maßnahmen auf die „Psyche“, die Familien und die steigende Gefahr von häuslicher Gewalt die Rede.


Was ist mit den notwendigen Behandlungen für Menschen mit chronischen Erkrankungen, v.a. mit Krebserkrankungen ?
Wer gehört zur Risikogruppe und welche Behandlungen müssen unbedingt fortgeführt werden?
Können sich Menschen in diesen Zeiten überhaupt behandeln lassen?

Wann ist das Risiko einer Coronainfektion erhöht, wann nicht ?
Wichtige Informationen und praktische Empfehlungen zu diesen Fragen bietet der Krebsinformationsdienst, die Deutsche Krebsgesellschaft und die DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie).

Doch so gut wie keine Informationen gibt es zu der Situation von Menschen mit Krebserkrankungen, die jetzt vereinzelt und u.U. von den Familien gemieden (geschützt?) werden und alleine in „häuslicher Quarantäne“ sind.

Folgende psychischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie für Krebserkrankte und Angehörige beschreibt die Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) am 8.4.20:

– Zunahme der psychischen Belastung (insbesondere hohe Angstsymptomatik) bei Patienten und Patientinnen in allen Stadien der Erkrankung und Problemlagen
– Zunahme der Verunsicherungen bei Therapieentscheidungen oder Akzeptanzprobleme bei ext. empfohlener Verschiebung des Therapiebeginns (systematische Therapie) oder des chirurgischen Eingriff- Sorgen über die Verfügbarkeit der medikamentösen Krebsbehandlungen durch die Corona-Ausbreitungen
– Zunahme sozialer Einschränkungen (Besuchsverbot aufStationen, Aufklärungsgespräche ohne Angehörige als Begleitung) und finanzieller Einbußen
Eingeschränkte Inanspruchnahmemöglichkeit psychoontologischer Versorgungsangebote (stationär und ambulant).

War die psychotherapeutische Versorgung für Patienten mit Krebserkrankungen schon in normalen Zeiten schwierig und begrenzt, so ist sie jetzt katastrophal.
Stichprobenartige Anrufe bei Therapeuten ergaben, das kaum Therapien durchgeführt werden oder keine Plätze zur Verfügung stehen. Die wenigen psychoonkologischen Beratungsstellen haben ihre Beratungen eingeschränkt und auf telefonische Kontakte umgestellt.
Und fast alle psychiatrischen und psychosomatischen Abteilungen in Bayern (und wahrscheinlich bundesweit) haben Patienten entlassen müssen und nehmen keine Patienten auf, weil sie Betten für die Akutbehandlungen von Corona-Patienten zur Verfügung stellen müssen (Allgemeinverfügungen der Ministerien).

Um so wichtiger ist es jetzt, Patienten nach oder in onkologischen, wie auch psychoonkologischen Behandlungen nicht alleine zu lassen.

In der Klinik Bad Trissl bietet das Team der Psychoonkologisch-Psychosomatischen Abteilung deshalb die ambulante Betreuung, Beratung, Krisenintervention und Kurzzeittherapie für ehemalige Patienten an. Diese werden z.Z. telefonisch und per Video-Sprechstunde durchgeführt.
Mit den Krankenkassen und der Bayerischen Krankenhausgesellschaft sind wir in fortgeschrittenen Gesprächen über ein weiteres Angebot für alle Patienten mit psychischen Problemen während oder nach einer Krebserkrankung.
Wir hoffen mit diesem wichtigen Angebot für eine stark betroffene Gruppe von Patienten in einer Woche beginnen zu können.

Europa-Wunsch nach Führung gegen Angst

Ruf nach Führung gegen die Angst

Dass Ergebnis der Europawahl ist überraschend. Die sehr unterschiedlichen Ergebnisse der Parteien in den verschiedenen europäischen Ländern scheinen auf den ersten Blick schwer verständlich.
Ein sehr lesenswerter Artikel zu den Leitmotiven der Wähler von Stefan Kornelius, dem Ressortleiter Außenpolitik der SZ, gibt eine tiefere Einsicht: „Wunsch nach Klarheit und Führungsstärke“ (SZ, 28.5.2019).

Kornelius beschreibt die hohe Wahlbeteiligung, die wohl auch ein Grund dafür ist, dass die Rechtspopulisten „alles andere als erfolgreich“ waren.
Er beschreibt den Erfolg der Grünen und Liberalen und die Verluste der alten Volksparteien.
Aber dahinter erscheinen die Ergebnisse unübersichtlich und widersprüchlich.
So sind die Sozialdemokraten in Deutschland und Frankreich abgestürzt, aber in Spanien und den Niederlanden haben sie gewonnen .
Im Gegensatz dazu haben die Konservativen in Österreich gewonnen, aber in Deutschland verloren.

Kornelius fragt: Gibt es bei diesen Unterschieden im Wahlverhalten ein Leitmotiv der europäischen Wähler ?
Sind neben den politischen Inhalten evt. andere Motive ausschlaggebend und lassen diese die Unterschiede im Wahlverhalten der 330 Millionen Europäer erklären?
Kornelius führt aus: „Mit diesem diesem Wunsch nach Führungsstärke verbindet sich das trügerische Bedürfnis nach Einfachheit und Verständlichkeit von Politik. Bei den Populisten entlädt sich diese Spannung in den Rufen nach Zerstörung und Zerschlagung. Die moderaten Wähler, ihnen gehört die Mehrheit, hoffen auf neue Parteien“ (S. Kornelius, ebenda).

Auch aus psychodynamischer Sicht muss man S. Kornelius recht geben:
Viele Menschen sind verunsichert und haben wohl ganz unterschiedliche Ängste angesichts einer immer komplexeren politischen Landschaft, in der die Enttäuschung an den großen Volksparteien wächst.
Diese wirken machtlos angesichts von Dieselskandal, Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung und den internationalen Flüchtlingsfragen.

Und je nach politischer Färbung, eigener innenpsychischen Sicherheit oder Neigung zu Extremen (Reflexionsfähigkeit, Frustrationstoleranz) werden radikale oder moderate Antworten und Führungspersonen gewählt.

Sie dazu auch den Blog-Beitrag: „Ängste aushalten – Psychische und Gesellschaftliche Ursachen von Angst“ vom 26.12.2016.

Darin geht es um:
– Fähigkeiten zur Angstbewältigung
– Resilienz
– Angst vor Kontrollverlust
– wachsende Unfähigkeit in der Gesellschaft, mit Ängsten umzugehen

Smartphone Mütter sind oft überfordert

Smartphone Nutzung, Handysucht und die Auswirkungen v.a. auf Jugendliche beschäftigen die Medien und die Fachwelt immer wieder.

Jetzt hat eine Forschungsgruppe die Auswirkungen von Smartphone Nutzung auf die Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern untersucht und interessante Ergebnisse gefunden (Brandon McDaniel, Pediatric Research, 13. June 2018).
Sie SZ  hat einen Artikel über die Ergebnisse etwas reisserisch mit: „Mutter ist ein Zombie“ betitelt (SZ, Nr. 141, 22.6.2018).

Die Autoren untersuchten welcher Einfluss Stress auf die Smartphone-Nutzung von Eltern hatte und welche Folgen dies mittelfristig auf die Eltern – Kind – Beziehung hatte (nach 6 Monaten).

Insgesamt wurden 183 Paaren mit Kindern im Alter zwischen 0 bis 5 Jahren nach 3 und 6 Monaten untersucht.
Leider wurden anscheinend nur die Aussagen der Eltern und keine eigene Untersuchung durch die Forschergruppe durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen wenig überraschend, dass sich Eltern oft vermehrt ihren Smartphones zuwenden, wenn sie von schwierigen Verhalten  der Kinder gestresst sind.
Das hat negative Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder: sie quengelten zunehmend, jammerten, bekamen Wutausbrüche oder zogen sich apathisch zurück.

Ergebnisse der Bindungsforschung

Mit diesen Ergebnissen bestätigen die Autoren die Befunde der Bindungsforschung bei Kleinkindern. Auf YouTube kann dies am Beispiel des „Still Face“ Experiments von Dr. Edward Tronick aus dem Jahre eindrucksvoll bestätigt werden:

Kinder versuchen mit allen Mitteln Kontakt zu Bezugspersonen herzustellen:
Gelingt ihnen das nicht, reagieren sie verunsichert, ängstlich und verzweifelt.

Das zeigt (auch in Bezug auf die aktuelle Studie), dass Kinder verunsichert auf Kontaktabbruch reagieren. Sie brauchen gerade in Situationen, in denen sie anstrengend sind (Eltern anstrengen oder stressen), Sicherheit und Versicherung.
Wenn Eltern sich dann aber abwenden, weil sie überfordert sind, vergrössert das die Unsicherheit der Kids rund löst verstärkte Bemühungen nach Versicherung aus.
Kinder werden also noch anstrengender.
Das ist ein Kreislauf, der alle Beteiligte immer weiter überfordert.

Hilfreich wäre für alle Beteiligten eine Form von Deeskalation und eine Beruhigung der angespannten Situation für alle – die anstrengenden Kinder und die überforderten Eltern.

Psychische Erkrankungen unter Generalverdacht

Psychische Erkrankungen beschäftigen immer wieder die Öffentlichkeit, die Medien, die Fachleute und die Politik.
Dabei ist es immer wieder erstaunlich, wie wenig Fachwissen vorhanden ist, wie groß die Ängste bei der Beschäftigung mit psychischen Erkrankungen ist und wie sehr dieses Thema von bestimmten Seiten für die eigenen politischen Interessen verwendet wird (s.u.).

Das ist einer der Gründe, warum sich dieser Blog seit Jahren mit sachlichen Informationen, mit Expertenwissen, Hintergrundinformationen und Aufklärung über psychische Erkrankungen beschäftigt.

Dabei ist es immer wieder verwunderlich, wie pauschal von „Psychischen Erkrankungen“ die Rede ist und diese immer wieder in einen Topf geworfen werden. Dabei kommt es auf die Ursachen und den Schweregrad an (siehe Blog: Depressionen-Auf die Ursachen kommt es an).
Niemand käme auf den Gedanken, genauso pauschal von körperlichen Erkrankungen zu reden und alle Betroffenen unter Generalverdacht zu stellen (ganz gleich, ob sie unter einer leichten Infektion oder eine schweren Krebserkrankung leiden).

Dabei wissen alle, die etwas mehr nachdenken, dass psychische Erkrankungen (ebenso wie körperliche Erkrankungen) jeden/jede treffen können und z.B. Depressive Episoden nur ein Ausdruck von psychischer Überforderung ist, die in zahlreichen beruflichen und privaten Belastungen und Überforderungen jeden/jede treffen können.

Wie notwendig exakte Informationen und differenzierte Expertenwissen sind, zeigt sich gerade in der letzten Monaten, in denen sich sowohl die Politik, als auch die Ärzteschaft mit psychischen Erkrankungen beschäftigt haben.

  • Zum einen hat der Entwurf eines Bayerischen “ Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“, der im Bayerischen Landtag verabschiedet wurde, zu einer lebhaften Diskussion in der Presse und der Öffentlichkeit geführt.
  • Zum anderen hat sich der 121. Deutschen Ärztetag in Erfurt mit dem Thema beschäftigt, die medizinische Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen diskutiert und eine verbesserte sektorenübergreifende Versorgung* und mehr interprofessionelle Kommunikation gefordert.

Und war es im ersten Fall (des „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ in Bayern) offensichtlich ein politisch motivierter Versuch, von fachfremden Politikern, parteipolitische Interessen auf Kosten von Menschen mit psychischen Erkrankungen durchzusetzen, so ging es auf dem Ärztetag um eine ernsthafte Diskussion unter Fachleuten, die an einer Verbesserung der Versorgung interessiert waren.

Das Bayerische “ Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

Das Bayerische “ Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ hat zu massivem Protest unter Fachleuten, bei Psychiatrie-Erfahrenen, in der Presse und in der Öffentlichkeit geführt.
Heribert Prantl hat dieses Gesetz in der SZ vom 16.4.18 als „eine Art Polizeirecht gegen psychisch kranke Menschen“ bezeichnet.
Er bringt das Gesetz in Zusammenhang mit dem „umstrittenen, superscharfen Polizeigesetz“, dem Polizeiaufgabengesetz, (PAG), in dem die Rechte der Polizei massiv ausgeweitet werden und ein neuer Straftatbestand eingeführt wird (siehe SZ vom 15.5.18):
Jetzt soll eine „drohende Gefahr“ ausreichen, Menschen zu observieren, zu inhaftieren und ohne Gerichtsbeschluss bis zu drei Monate in Untersuchungshaft zu bringen.
Dabei ist der Begriff „drohende Gefahr“ im Gesetz nicht bekannt und nicht definiert.

Prantl führt in seinem Artikel weiter aus, dass der Entwurf des “ Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ dazu führt, dass depressive Menschen künftig nach Regeln in Krankenhäusern „festgesetzt werden können, die bisher nur für Straftäter galten“.

Im ursprünglichen Gesetzentwurf war vorgesehen, dass die Patientendaten von Menschen die per Gerichtsbeschluss in geschlossene Abteilungen untergebracht werden, in einer Unterbringungsdatei  fünf Jahr gespeichert und an Behörden, wie der Polizei, den Kreisverwaltungsreferaten oder den Landratsämtern zur Verfügung gestellt werden sollen.

Auf massiven Protest von Experten, Psychiatern, psychiatrischen Fachverbänden, Psychiatrie-Erfahrenen, der Öffentlichkeit und den Medien wurde das Gesetz inzwischen abgeschwächt.
Zuerst war diskutiert worden, diese Unterbringungsdatei nur für ein Jahr zu speichern.
Inzwischen will die CSU ganz auf diese Datei verzichten (siehe dazu die SZ vom 24.4.18).
Das so geänderte Gesetz soll jedoch noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.

121. Deutschen Ärztetag in Erfurt

Ganz anders war die Diskussion über psychische Erkrankungen auf dem Deutschen Ärztetag.

Der Deutsche Ärztetag stellte Menschen mit psychischen Erkrankungen in den Mittelpunkt.
Prof. Dr. med.S. Zipfel, Tübingen, beschrieb die zunehmende Häufigkeit von Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankungen. Sie stehen nach Muskel- und Skeletterkrankungen an der zweiten Stelle der Krankschreibungen in Deutschland.

Sie sind nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung der häufigste Grund für Erwerbsminderungsrenten. Dabei seien die Rentenzugänge wegen psychischer Erkrankungen seit 1993 um 80 Prozent gestiegen.

Intensiv wurden von den Delegierten Maßnahmen diskutiert, um dieser Situation für die Betroffenen Menschen Gericht zu werden.

Ein Maßnahmenkatalog (siehe Ärzteblatt) zu einigen wichtigen Aspekten der Versorgung wurde mit folgenden Punkten verabschiedet:

  • Psychotherapie soll weiter ein Bestandteil der medizinischen Versorgung bleiben
  • eine bessere sektorenübergreifende und interprofessionelle Vernetzung in der Versorgung psychisch kranker Menschen ist notwendig
  • Onlinebasierte Interventionen sollen nur nach einer fachspezifischen Face-to-Face-Diagnose angewandt werden dürfen
  • die Personalausstattung in psychiatrischen Klinken sollte dem wachsenden Bedarf angepasst werden
  • Daten psychisch kranker Menschen dürfen nicht in gesonderten Dateien gespeichert werden.

V.a. der letzte Punkt zeigt eine eindeutige Stellungnahme eines Expertengremiums zur geplanten Unterbringungsdatei im Bayerischen “ Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“.

Kommentar

Es verwundert schon, dass die CSU kurz hintereinander zwei Gesetze auf den Weg bringt, die beide schärfer sind, als die Gesetzentwürfe in den übrigen Bundesländern (Polizeiaufgabengesetz, Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz).
Bei dem Bayerischen Psychisch-Kranen-Hilfe-Gesetz werden bewußt und absichtlich Ängste vor Psychischen Erkrankungen geschürt und die Betroffenen unter Generalverdacht gestellt.
Bewußt wird der Eindruck geweckt, dass psychische Erkrankungen umkalkulierbar und gefährlich sind und die Öffentlichkeit vor Menschen mit psychischen Erkrankungen geschützt werden muss. Das ist ein Rückfall in die 30er Jahre und in die schwarze Zeit der Psychiatrie in Deutschland.

Das ist gezielte Falschinformation auf Kosten der Betroffenen.

Damit werden alle Versuche zunichte gemacht, das Verständnis für psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit zu stärken und Menschen dazu zu ermuntern, so schnell wie möglich von den zahlreichen Hilfsangeboten Gebrauch zu machen.
Da hilft es auch nicht, wenn eine geplante „Unterbringungsdatei“ nach heftigem Protest aller Experten und Beteiligten zurück gezogen wurde.

Wem nützt Online – Therapie ?

Immer mehr Menschen suchen Informationen, Hilfen und Beratungen im Internet. Auch über Behandlungen und Therapien bei psychischen Problemen und Therapien gibt es Tausende von Seiten.
Der neuste Trend heisst Online-Therapie.
Bei der Google-Suche erscheinen zu Online-Therapie ca.44.000 Einträge und immer mehr Anbieter werben mit Online Angeboten für Patienten.

  • Doch was ist dran an dem neuen Trend ?
  • Was ist Online Therapie ?
  • Nützt sie überhaupt ?
  • Wem hilft sie ?
  • Wie ist die Qualität und was unterscheidet Online Therapie von einer „herkömmlichen“ Psychotherapie ?

Sie dazu auch den Beitrag vom 8.5.15 in diesem Blog.

Was ist Psychotherapie ?

Mit Psychotherapie behandeln Experten psychische Erkrankungen.
Dazu muss zu allererst untersucht werden, ob überhaupt eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung vorliegt.
Es muss der Schweregrad der psychischen Problematik festgestellt und geklärt werden, ob überhaupt eine Psychotherapie notwendig ist und welches Therapieverfahren das richtige ist.
Dazu müssen die Experten besonders qualifiziert sein und  ein wissenschaftlich anerkanntes Therapieverfahren gelernt haben (Psychotherapie-Richtlinie des GBA).

In Deutschland ist die Diagnostik und Behandlung nur Fachärzten und Psychologischen Psychotherapeuten und erlaubt.
Um eine Psychotherapie auf Kosten der Krankenkassen abrechnen zu können müssen Psychologinnen und Psychologen, ebenso wie Ärzte, eine Therapieausbildung in einem anerkannten Psychotherapieverfahren gemacht und mit Prüfung abgeschlossen haben. Sie dürfen sich dann psychologische oder ärztliche Psychotherapeuten nennen.
Die Therapieverfahren müssen ihre Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen haben („Richtlinienpsychotherapie“). Darüber wacht z.B. der Gemeinsame Bundesausschuss.
Diese hat z.B. bisher nur die kognitive Verhaltenstherapie und die psychoanalytisch begründeten Psychotherapien (tiefenpsychologische und psychoanalytische Psychotherapie) als wirksam anerkannt.

Was ist Online-Therapie?

Therapie mittels Video wird von unterschiedlichen Anbietern zu ganz unterschiedlichen Konditionen angeboten.
Es wird als einfach, bequem und jederzeit anwendbar beschrieben.
Für die Menschen soll dadurch das Aufsuchen einer Therapeutin oder eines Therapeuten überflüssig gemacht werden.

Auch ein großer Klinik-Betreiber bietet Online-Therapie, allerdings nur nach einem vorherigen Gespräch in einer Klinik, an.

Wirkt Online Therapie überhaupt ?

Die Ergebnisse auf die sich Anbieter von Online-Therapie berufen sind dünn. So beruft sich die Techniker Krankenkasse auf eine Untersuchung an ca. 1000 Versicherten mit einer „mittelschweren Depression“.
Diese Gruppe sei mit Online Therapie behandelt worden.
Nach der Online-Therapie seien keine behandlungsbedürftigen Symptome mehr nachweisbar gewesen.
Dabei werden jedoch keine Angaben zur Diagnostik, zur Qualifikation der Behandler, zum Therapieverfahren gemacht.

Auch sonst findet sich keine Untersuchung die wissenschaftlichen Kriterien standhält: es gibt keine Kontrollgruppen, Keine Aussagen zu Begleiterkrankungen oder Ursachen, keine Angaben über die Häufigkeit und Dauer der Therapie , keine Angaben über Nebendiagnosen und Schweregrad der Erkrankung.
Und v.a. gibt es keine Angaben zur Qualifikation der Behandler.

Wem nützt Online-Therapie ?

Online-Therapie ist modern !
Aber bei der Recherche zu diesem Thema entsteht der Eindruck, dass viele Online-Therapie anbieten, ohne dafür die notwenige Qualifikation zu haben (s.o.).
Das heisst dass sie keine Ausbildung zum ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten haben Anerkennung als Therapeut oder kein wissenschaftlich anerkanntes Therapieverfahren anwenden.

So werden in einem ZEIT-Artikel Anbieter von Online-Therapie beschrieben, die keine Angaben zu ihrer Therapieausbildung machen (und möglicherweise deshalb gerade auf diesem noch freien Markt aktiv sind).

Online Therapie ist außerdem v.a. für die Akteure im Gesundheitswesen interessant, die Kosten im Gesundheitswesen sparen wollen.
Deshalb verwundert es nicht, dass Krankenkassen an dieser Form der Behandlung besonderes Interesse haben.

Unterschiede zu herkömmlichen Therapien !

Psychotherapie hat Veränderungen und Verbesserungen von Symptomen zum Ziel. Dabei geht es nicht nur um Verhaltensänderungen, sondern auch darum, neue korrigierende Erfahrungen im Umgang mit Gefühlen, Einstellungen und Beziehungen zu machen.
Dazu sind direkte, physische therapeutische Beziehungen unverzichtbar.

Menschen lernen den Umgang mit Gefühlen und Affekten durch Beziehungen, auch durch therapeutische Beziehungen.

Dazu ist jeder darauf angewiesen, einen Kontakt aufzubauen, sich kennen zu lernen. Es geht ja nicht nur um Ratschläge, Vorschläge und Anweisungen. Therapien unterscheiden sich von Schulungen und Lernprogrammen.

Doch das geht nur durch einen therapeutischen Prozess, in dem es um mehr als sie gesprochenen Wort geht.
Auch die Haltung, die Pausen, der Blick sind wichtig.

Kein Blickkontakt mehr !

Und der Philosoph Byung-Chul Han hat darauf aufmerksam gemacht, dass Menschen sich bei Online Kontakt (Skype et. al.) nicht mehr anschauen !
Der Blickkontakt ist bei Online-Therapie nicht mehr möglich !

Und wir wissen von wissenschaftlichen Untersuchungen zur Bindungsforschung und aus zahlreichen Studien mit Babybeobachtungen, dass der Augenkontakt die entscheidende Versicherung im Kontakt mit dem Gegenüber, der Bezugsperson ist.
Schon Winnicott sprach vom „Glanz im Auge der Mutter“ im Kontakt zwischen Mutter und Kind.

Zusammenfassung

Wenn Psychotherapie helfen soll, Beschwerden, Krankheiten, Konflikte und Probleme zu behandeln, sind der direkte Kontakt und die unmittelbare Beziehung – face to face – notwendig.
Das kann Online-Therapie nicht ersetzen.
So gesehen, ist auch der Begriff irreführend: es sollte Onlineberatung oder Nachsorge heissen.

P.S. Zu Fragen des Datenschutzes und der ärztlich/therapeutischen Schweigepflicht sollen hier keine Angaben gemacht werden. Auch hier ist Vorsicht geboten !