Beiträge

Von der Selbstoptimierung zum Hirndoping?

Chronische Belastungen und chronischer Stress machen krank, wie viele Studien und auch mehrere Beiträge in diesem Blog belegen. Um leistungsfähig zu bleiben oder die „Performance“ noch zu steigern, greifen jedoch immer mehr Menschen in Studium und Beruf zu Medikamenten.

Nach Umfragen der Krankenkassen geben 5% der Erwerbstätigen und Studenten an, schon einmal Medikamente zur Leistungssteigerung eingenommen zu haben. Das belegt auch eine Studie der Universität Bielefeld mit 3486 Studenten. Der SPIEGEL berichtete im Januar 2013 von 20% der Studenten, die Hirndoping betreiben. In Untersuchungen aus den USA wird die Häufigkeit von Medikamenten zur Leistungssteigerung ebenfalls mit 20% unter Studenten angegeben.

Im Projekt FAIRUSE der Soziologischen Fakultät Bielefeld wird versucht, Studienbedingungen zu schaffen, die Hirndoping und andere Praktiken nicht notwendig machen.

Menschen, die Medikamente zum  Hirndoping einsetzen, versuchen in der Regel, wacher, konzentrierter und leistungsfähiger zu sein, aber auch Ängste abzubauen und das Wohlbefinden zu steigern.

Bei  den Substanzen, die eingenommen werden, handelt es sich in erster Linie um Amphetamine, deren Verwandte (z.B. Methylphenidat: Ritalin*) und weitere illegale Drogen.  Für nähere Informationen zu den Medikamenten verweisen wir auf die Website der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V.

Die Nebenwirkungen sind nicht harmlos: zu zahlreichen körperlichen Beschwerden (Kopfschmerzen, Unruhe, Schlafstörungen, Atemnot, Herzprobleme Blutdruckschwankungen, Vergiftungserscheinungen) kommen eine ganze Reihe von psychischen Problemen und Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Burnout, plötzliche aggressive Ausbrüche und Verfolgungswahn) und nicht zuletzt die Abhängigkeit von den Doping-Mitteln.

Besonders anfällig für Hirndoping sind Menschen, für die nur Leistungen zählen. Oft haben sie immer wieder die Erfahrung gemacht, nur über ihre Leistungen wahrgenommen zu werden. Immer wieder werden so auch Unsicherheiten und Ängste mit Leistungssteigerung überspielt.

Eine ähnliche Dynamik habe ich vor einigen Wochen bei dem Thema Selbstoptimierung unter der Überschrift: „Schöner,schlanker und gesünder. Wozu dient die Selbstoptimierung“ beschrieben.

Der regelmäßige Gebrauch von Medikamenten zur Leistungssteigerung führt aber unweigerlich zu einer Spirale, die die Betroffenen irgendwann nicht mehr aufhalten können. Manche müssen auch die Erfahrung machen, dass die erbrachten Leistungen nie genug sind und sie nie zur Ruhe und Zufriedenheit kommen. Dann hetzen diese „Leistungsträger“ von Erfolg zu Erfolg. Doch sie können diese Erfolge immer weniger geniessen, sondern müssen immer weiter, immer höher. So stellt sich eine Sucht nach Erfolg ein, der allein schon lange nicht mehr befriedigt.

Machmal ist eine Erkrankung für die Betroffenen der einzige Ausstieg ohne Gesichtsverlust aus diesem Kreislauf . Denn auch der Ausstieg aus der Leistungsspirale macht Angst. Gut, wenn bis dahin niemand zu schaden gekommen ist (z.B. durch Verletzungen, Unfälle oder Risikoverhalten).

Spätestens dann sind aber professionelle Unterstützung, Beratung und Therapie notwendig.

Manchmal muss vor eine Psychotherapie erst ein körperlicher Entzug  gemacht werden.

Langfristig kommen die Betroffen aber nur zurecht, wenn sie ihre Leistungsideale in Frage stellen und sich klar machen, was sie mit Leistung und Erfolg kompensieren wollten. Dann ist nicht nur eine Verhaltensänderung, sondern auch eine Veränderungen der Einstellungen möglich. Das geht in der Regel nur mit einfühlsamer, professioneller Therapie z.B. in einer Psychosomatischen Behandlung.

Was sind eigentlich psychische Erkrankungen und wie beeinflussen sie die Arbeitsfähigkeit?

Ein Artikel in der ZEIT vom 7.November hat mich sehr verwirrt. Ich behandele seit mehr als 23 Jahren Patienten mit psychischen Erkrankungen. Aber die Patienten, die in dem Artikel dargestellt werden, sind andere Menschen, als die, die ich aus meiner täglichen Arbeit in Klinik und Universität kenne. Menschen, die ich behandelt habe, brauchten intensive Psychotherapie und waren fast alle arbeitsfähig, wenn sie nicht in Ausbildung, zu Hause bei den Kindern oder in Rente waren.

Und das scheint daran zu liegen, dass in dem Artikel in der ZEIT  psychische Erkrankungen mit Psychosen gleichgestellt werden. Hier wird alles in einen Topf geworfen und der Eindruck erweckt, als wären Schizophrenien typische psychische Erkrankungen. Verwirrenderweise heisst es dann auch, nur 6 % der Menschen mit psychischen Erkrankungen (?)  hätten eine Vollzeitstelle.

Dabei sind von Schizophrenien, also schweren Psychosen, die oft chronisch verlaufen, nur 0,7 bis 1,4 % der Menschen betroffen. Das Krankheitsbild der Schizophrenie soll hier nicht näher beschrieben werden. Das können Sie im folgenden Link nachlesen: (Gesundheitsberichterstattung des Bundes). Die Häufigkeit (Prävalenz) von Schizophrenien ist über alle Kulturen gleich und hat in den letzen Jahrzehnten nicht zugenommen.

Zugenommen haben aber psychische Erkrankungen, die in Zusammenhang mit Stress, beruflichen unsd privaten Belastungen und Überforderungen stehen. Das belegen auch Zahlen der Gesundheitsreporte der Krankenkassen, wie der DAK 2013. Inzwischen ist fast jeder dritte Arbeitnehmer betroffen. Und die meisten arbeiten trotz der Beschwerden und Erkrankungen weiter (ganz im Gegensatz zur Situation, wie sie im ZEIT-Artikel geschildert wird).

Und Menschen mit diesen Beschwerden und Erkrankungen, die in Zusammenhang mit akuten oder chronischen Belastungen stehen, brauchen qualifizierte Behandlungen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, wie sie von ambulanten ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten und in psychosomatischen Kliniken angeboten werden.

Wovon ist also die Rede? Und ist der Autorin ein Vorwurf zu machen?

Sie bezieht sich auf eine aktuelle Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, DGPPN (S3-Leitlinie zu „Psychosozialen Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen„). Aber auch hier wird alles in einen Topf geworfen. Die Leitlinie gibt ambulante Behandlungsempfehlungen für alle psychischen Erkrankungen, unabhängig von der Art und Schwere der Erkrankungen.

Interessanterweise kommt die Psychotherapie als eine der wichtigsten Behandlungen im ambulanten Sektor in der Leitlinie überhaupt nicht vor.

Das ist so, als würden alle organischen Erkrankungen in einen Topf geworfen werden. Vergleichen wir denn etwa eine Blinddarmentzündung mit einer schweren Krebserkrankung und bekommen alle die gleichen Behandlungen?

Darüber hinaus hat diese Leitlinie einige wissenschaftliche Schwächen (z.B. kann sie sich nicht auf kontrollierte Studien berufen). Interessanterweise kommt diese Leitlinie zu einem Zeitpunkt, an dem der Gesetzgeber die Selbstverwaltung beauftragt hat, eine neues Entgeltsystem (also eine neue Bezahlung für die Kliniken) zu schaffen. Dieses PEPP-Entgeltsystem soll zwischen einzelnen Erkrankungen, Schweregraden, Patientenmerkmalen und unterschiedlichen Behandlungen unterscheiden.

Kommen hier evt. berufspolitische Interessen im Gewand einer Leitlinie daher? (Und für die Fachleute: Geht es evt. um andere Abrechnungssysteme, wie etwa Regionalbudgets?)

Das wäre für die Betroffenen fatal. Denn Menschen mit Depressionen, Angststörungen, Zwangserkrankungen, die alle in dieser Leitlinie erwähnt werden, profitieren nach allen vorhandenen Leitlinien und wissenschaftlichen Studien von qualifizierten Psychotherapien. Damit sind sie in den meisten Fällen in absehbarer Zeit wieder arbeitsfähig. Die Dauer der Krankschreibung wegen psychischer Erkrankungen wird auch von den Krankenkassen mit durchschnittlich 29 Tagen angegeben. Das heißt: Menschen, die qualifiziert behandelt werden, sind im Durchschnitt nach diesen 29 Tagen wieder arbeitsfähig !

Chronischer Stress macht krank !

11% der 18 bis 64-Jährigen in Deutschland erleben chronischen Stress. Frauen geben mit 13,9% häufiger eine überdurchschnittliche Belastung an als Männer mit 8,2%.“ das beschreibt das Robert-Koch-Institut auf seiner Website unter der Überschrift: Zahl des Monats !

Vor kurzem hatten wir über Beiträge der AZ und TKK zu Stress berichtet. Heute wollen wir ausführlicher über Chronischen Stress, die Auswirkung auf die psychische Gesundheit und die Möglichkeiten und den Nutzen von Behandlungen schreiben.

In der Arbeit des Robert-Koch-Instituts heisst es: akuter Stress ist eine normale Reaktion auf verschiedene Reize und Belastungen. „Chronischer Stress hat jedoch Effekte auf den Stoffwechsel, das Immun- und Herz-Kreislaufsystem und beeinträchtigt die Schlafregulierung, Lern-, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozesse. Stress scheint auch ein Faktor beim Entstehen und Fortschreiten von psychischen Auffälligkeiten und Störungen zu sein.“ (ebenda)

Umfangreiche Analysen belegen, dass Psychosozialer Dauerstress hohe Risiken für stressbedingte chronische Veränderungen mit sich bringt, die mit Blick auf das Immunsystem wie vorzeitige Alterungsprozesse wirken.

Eine Studie über zehn Jahre an 5793 Menschen konnte nachweisen, dass chronischer Stress zu vermehrten Schlafstörungen, Depressionen und Symptomen eines Burnout-Syndroms führt. Mehr als jeder zweite Erwachsene mit aktueller depressiver Symptomatik fühlt sich durch chronischen Stress stark belastet (53,7%).

Dabei ist eine starke Belastung besonders häufig, wenn es nur geringe soziale Unterstützung gibt.

Diese Symptome und Erkrankungen nehmen mit steigender Stressbelastung zu, wie folgende Graphik zeigt.

Bildschirmfoto 2013-11-09 um 17.03.19

Psychoanalytische Therapien brauchen Zeit, wirken aber umso nachhaltiger

Unter dieser Überschrift fasst eine Pressemitteilung von einem Kongress in Wien aktuelle Forschungsergebnisse zusammen. Diese Ergebnisse sind so interessant auch für unsere eigene Arbeit, dass ich sie hier kurz zusammenfassen will:

Studien der Universität Wien haben nachgewiesen, dass psychoanalytische Therapien zwar mehr Zeit benötigen als Kurztherapien, die Effekte aber umso nachhaltiger sind. Das fasst Prof. Doering, Leiter der Universitätsklinik der MedUni Wien anlässlich des Welt-Kongresses der Psychiatrie, der vom 27. bis 30. Oktober in Wien stattfindet, zusammen.

„Die hohe Wirksamkeit der psychoanalytischen Psychotherapie ist heute durch zahlreiche Studien untermauert“ betont Doering. „Bei leichteren und akuten Störungen sind kürzere Therapien ausreichend, bei schweren Störungen braucht es aber längere Therapien, wie z.B. die Psychoanalyse“.

In einer Studie zur Wirksamkeit der Psychoanalyse wurde in einer Studie aus München nachgewiesen, dass 83 % der Patientinnen mit einer Depression drei Jahre nach Ende der Psychoanalyse keine depressiven Symptome mehr nachweisen, also geheilt sind.

In Innsbruck wurden in einer Studie von A. Buchheim Änderungen der Hirnfunktion nachgewiesen. So normalisierte sich nach Psychoanalysen auch die Hirnfunktion ähnlich stark wie durch Medikamente. Über die Nachhaltigkeit dieser Veränderungen gibt es allerdings noch keine Ergebnisse.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Langzeituntersuchung von Herzog und Zipfel, die vor wenigen Wochen in der Fachzeitschrift Lancet veröffentlicht wurde. In der bisher weltweit größten Studie zur Behandlung von erwachsenen Frauen mit einer Magersucht wurden 242 Frauen an 10 deutschen Klinken über 22 Monate wissenschaftlich begleitetet. Der positiven Effekte einer modifizierten psychoanalytischen Therapie (fokale psychodynamische Psychotherapie) im Vergleich zu aanderen Therapien waren beeindruckend. „Die Patientinnen dieser Gruppe hatten auch ein Jahr nach der Behandlung die günstigsten Gesamtheilungsraten“ fassen die Autoren zusammen. Und auch die Abbruchrate waren bei dieser Behandlung  nur halb so groß. (Mehr zu dieser Studie zu Essstörungen finden Sie an anderer Stelle in diesem Blog).

In der Pressemitteilung des Kongresses in Wien werden die die Ergebnisse dieser Studien wie folgt zusammengefasst: „Während kürzere Psychotherapien gut geeignet sind, die Symptome zu reduzieren, zielt die psychoanalytische Therapie auch auf die Veränderung der Persönlichkeit ab. Das führt z.B. bei Borderline Persönlichkeitsstörungen zu einer verbesserten Impulskontrolle und Affektsteuerung. Das hilft den Betroffenen auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen.“(siehe weitere Informationen zu Borderline Störungen in diesem Blog).

Alle diese Ergebnisse sehen wir als Bestätigung unserer psychoanalytisch begründeten Behandlung in unserer Psychosomatischen Abteilung bei München. Diese Studien zeigen aber auch, wie wichtig gute ambulante Weiterbehandlungen für Patientinnen und Patienten mit schwereren psychischen Problemen und Erkrankungen sind.

 

Männergesundheit – Leiden Männer anders ?

Woher kommen Geschlechtsunterschiede bei Diagnosen? Das ist eine Fragestellung bei der Woche für Seelische Gesundheit u.a. in München und einer neuen Studie des Robert Koch-Instituts in Berlin. Bei der Veranstaltung heißt es etwas vereinfacht, seelische Erkrankungen  bei Männern blieben oft unerkannt, sie seien aber genauso häufig wie bei Frauen. Doch ist das wirklich so?

Zahlen des Robert Koch-Instituts aus den Jahren 2008 bis 2011 belegen, dass 8,1 % der Frauen und 3,8 % der Männer innerhalb eines Jahres neu an einer Depression erkranken (12-Monats-Prävalenz). Wie in allen anderen, auch internationalen Studien der letzten Jahre sind Frauen ungefähr doppelt so häufig von einer Depression betroffen, oder besser: von einer Depressions-Diagnose betroffen.

Die folgende Tabelle zeigt, dass Frauen in allen Altersgruppen häufiger betroffen sind,dass die Häufigkeit im Alter zunimmt und v. a. Männer im Osten mehr als im Westen Deutschlands betroffen sind:

Bildschirmfoto 2013-10-13 um 16.18.55

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der Studie werden ausführlich die möglichen Ursachen diskutiert: Gibt es wirklich boiologische Unterschiede, sind die Unterschiede künstlich (also Artefakte) oder haben sie mit der wirtschaftlichen oder psychosozialen Lage von vielen Frauen zu tun?

Frauen erhalten häufiger die Diagnose Depression als Männer

Interessant bei diesen Ergebnissen ist die Frage, warum eine Diagnose bei Frauen häufiger diagnostiziert wird? Und welche Erkrankungen werden stattdessen bei Männern diagnostiziert ?

Die Studie des Robert Koch-Instituts stellt dazu einige interessante Hypothesen (Vermutungen) auf: Könnte es sein, dass bei Männern andere Symptome auftreten, die evt. nicht zur Diagnose einer Depression führen? In einer Studie wurde z. B. festgestellt, dass bei Männern häufig „innere Unruhe“, „Irritabilität“ und „Aggressivität“ und „antisoziales Verhalten“ diagnostiziert wird (Möller-Leimkühler, 2004).

Ich würde noch weiter gehen: Meine eigenen Erfahrungen aus über mehr als dreißig Jahren Tätigkeit als Arzt und Therapeut zeigen immer wieder, dass bei Männern häufiger über viele Jahre unspezifische körperliche Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Magenbeschwerden, Rückenschmerzen, Herzbeschwerden diagnostiziert werden.

Das liegt sicher an vielen Ursachen. Vielleicht aber auch daran, dass es für Männer immer noch ungemein schwieriger ist, sich einzugestehen, dass sie mit einer Situation überfordert sind und daran möglicherweise psychisch erkrankt sind. Das passt so gar nicht in die Vorstellung von Männlichkeit  in unserer Gesellschaft.

Interessant wäre auch eine Untersuchung, ob Ärzte bei Männern häufiger ein Burn Out diagnostizieren und bei Frauen häufiger eine Depression. Das hätte auch etwas mit den Diagnose-Stellung der Ärzte zu tun, die zu zwei Dritteln männlich sind (Im Jahre 2012 waren 84.912 ambulante Ärzte Männer und  59.148 ambulante Ärztinnen tätig, Gesundheitsberichterstattung des Bundes, online)