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Zwang schadet in der Behandlung der Magersucht

Die Zahl von Frauen mit Essstörungen , die sich in der Psychosomatischen Abteilung in Ebersberg haben behandeln lassen, hat sich in den letzten Jahren verdoppelt (SZ 09.06.2016). In den letzten Monaten kamen zudem viele Frauen mit Essstörungen zur Beratung, die von gescheiterten Behandlungen berichteten.

Das verwundert nicht. Denn für die Behandlung von Menschen mit Essstörungen braucht es sehr viel Erfahrung und eine transparente, eindeutige therapeutische und ethische Haltung (s.u.).

Die meisten Betroffenen berichten, dass die Schwere der Essstörung zu Beginn unterschätzt worden ist, und sich die Symptomatik trotz Behandlungen verschlechtert hat.

Die andere Problematik in der Behandlung von Essstörungen, von der die Patientinnen berichtet haben, besteht im viel zu häufigen Einsatz von Zwangsmaßnahmen und von Behandlungen gegen den Willen der Patientinnen mit Bulimie und Anorexie.

Und das ist für die Betroffenen oft fatal, weil sie nur die Möglichkeit sehen, sich entweder anzupassen (und z.B. gegen ihren Willen Gewicht zuzunehmen) oder die Behandlungen abzubrechen.

Im Folgenden will ich das Problem am Beispiel der Pubertäts-Magersucht (Anorexia nervosa) beschreiben:

Bei den Betroffenen handelt es sich zu 95 % um Mädchen und junge Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen absichtlich eine Gewichtsabnahme herbeiführen (durch Hungern, exzessiven Sport, Erbrechen, Abführmittel, sonstige Medikamente usw.).

In fast allen Behandlungen von Ärzten und Therapeuten, in Praxen, Klinken und Beratungsstellen werden die Frauen mit Untergewicht zur Gewichtszunahme überredet, gedrängt oder gezwungen. (Damit machen die Ärzte und Therapeuten genau das, was den Betroffenen in den Familien, im Bekanntenkreis und und in Partnerschaften auch immer wieder passiert).

Doch wozu führt das?

Frauen mit Essstörungen haben gelernt, sich anzupassen, zu unterwerfen und ihre Absicht, Gewicht zu reduzieren, zu verheimlichen. Sie passen sich nach außen an die Erwartungen an und verheimlichen ihre wahren, inneren Motive oder wirklichen Absichten.

Schon vor 20 Jahren wurde in britischen Studien nachgewiesen, dass die Heimlichkeiten zunehmen, je größer der Druck und Zwang auf die Betroffenen mit Essstörungen ist (Gowers 1992).

Das heisst auch, dass in Therapien die mit Zwang arbeiten, die Chancen vertan  werden, Vertrauen aufzubauen, in dem sich die anorektischen Frauen verstanden fühlen und offen, über ihre Wünsche und Ängste reden können.

Denn immer gibt es Gründe dafür, dass Mädchen und Frauen trotz intensiver Kenntnisse über Ernährung, Nahrungsmittel und die medizinischen Folgen absichtlich hungern oder sich „ungesund“ ernähren.

Leider arbeiten aber die meisten psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken mit einem Behandlungskonzept, in dem die Patientinnen von Anfang an Gewicht zunehmen müssen.

Damit wird oft die Chance vertan, die zum Teil unbewussten Gründe zu verstehen und den Betroffenen zu helfen, andere Lösungen für ihre Konflikte und Probleme zu finden.

Dabei ist das der einzige, nachhaltige Weg raus aus einer Essstörung, hin zu einem selbstgesteuerten und selbstbewussten Leben.

Deshalb besteht die Hauptaufgabe einer  Psychotherapie darin, zu verstehen, in welcher Not die betroffenen Frauen sind, warum sie Gewichtsabnahme als Lösung ihrer Probleme sehen und mit ihnen Alternativen zu er arbeiten, die die Essstörung überflüssig macht.

Das konnte ich mit Kolleginnen vor 20 Jahren in der Psychosomatischen Abteilung im Klinikum rechts der Isar an einer kleinen Gruppe von untergewichtigen, anorektischen Frauen (BMI um 13 kg/m2) nachweisen.

Wir haben die Betroffenen mit Einzel- und Gruppentherapie zusammen mit Hausärzten behandelt und von Ihnen lediglich verlangt, ihr Gewicht zu halten. Die Hälfte der Frauen hat im Laufe der Behandlung von sich aus an Gewicht zugenommen. Die andere Hälfte ist anschliessend in weitere Therapien gegangen.

Deshalb arbeiten wir in der Psychosomatik seit Jahren nach einem anderen Konzept in der Behandlung von Frauen mit Essstörungen:

Wir setzen den Schwerpunkt nicht auf die Symptome (Untergewicht, Hungern, Erbrechen…..) und die Veränderung des Essverhaltens, sondern konzentrieren uns darauf, zuerst ein Vertrauen aufzubauen und mit den Betroffenen die z.T. unbewussten Ursachen für das Essverhalten und das Untergewicht zu erkunden.

Denn nur wenn die Not der Frauen gespürt und die Essstörung als gescheiteteter Versuch einer Konfliktbewältigung verstanden wird, sind die Betroffenen in der Lage, selbst und von sich aus Gewicht zuzunehmen. Das kann länger dauern, ist aber nachhaltig erfolgreicher.

Und sollte neben der Essstörung ausserdem eine schwere Traumatisierung oder eine Borderline Persönlichkeit bestehen, ist es noch wichtiger den anorektischen Frauen zuerst zu helfen, mit Selbstwertzweifeln und Selbsthass und Selbstschädigung zurecht zu kommen, bevor die Essstörung therapeutisch behandelt werden kann. Denn bei schwerer Persönlichkeitsstörung (v.a. durch Traumarisierungen)  haben Zwangsmaßnahmen ganz verheerende, negative Folgen.

Zum Schluss ein Hinweis für Kollegen (Psychiater, Verhaltenstherapeuten und Ärzte): selbstverständlich besteht das langfristige Ziel jeder Behandlung darin, das die Betroffenen die Symptome aufgeben zu können. Doch dazu sind Voraussetzungen notwendig, die zusammen mit den anorektischen Frauen und nicht gegen sie erarbeitet werden muss.

Dabei darf man die Gefahren für die Gesundheit nicht übersehen. Deshalb müssen die Frauen mit Essstörungen genau untersucht werden, immer medizinisch und therapeutisch behandelt werden und über die gesundheitlichen Risiken und Gefahren aufgeklärt werden.

Bei der Gelegenheit erfährt man als Arzt oder Therapeut aber auch, dass  die wenigsten Betroffenen mit Essstörungen die Absicht haben, ihr Leben zu beenden (ganz gegen die Angst der Familien und mancher behandelnden  Ärzte).

 

 

Burnout und Narzissmus

Menschen mit einem behandlungsbedürftigen Burnout leiden unter totaler körperlicher und psychischer Erschöpfung (schwerer Depression und zahlreichen körperlichen Beschwerden). Das stellt für die Betroffenen immer einen Notfall dar: sie sind nicht mehr arbeitsfähig und stecken  in einer tiefen Sinnkrise.

Burnout kann viele Ursachen haben und trifft Menschen in fast allen Schichten, Berufsfeldern und mit oft einem persönlichen Risikoprofil.

Trifft diese Krise aber Menschen, die zusätzlich unter eine narzisstischen Problematik leiden, kommt es oft zu zusätzlichen Problemen schon in der Wahl der Berater, Coaches oder Therapeuten und zu ganz besonderen Problemen in den Therapien. (Hier ist der Narzissmus als Persönlichkeitsproblem* gemeint).

Woran liegt das?

Narzissten ertragen berufliche oder private Krisen meist sehr schwer. Oft werden von ihnen Schwächen jahrelang überspielt, ignoriert oder ausgeblendet.

Außerdem tun sie sich schwer, Hilfe von anderen Menschen anzunehmen. Echte Gefühle von Bedauern, Traurigkeit und das Eingestehen von Niederlagen versuchen sie, immer wieder zu überspielen.

Von Coaches und Therapeuten verlangen sie oft, das seelische Gleichgewicht und den Erfolg möglichst schnell wieder herzustellen und nicht so viele Fragen zu stellen. Diese werden oft als Kritik verstanden.  So verständlich diese Wünsche sind,  so unmöglich ist es oft, denen gerecht zu werden.

Denn in Therapien kann es nicht nur darum gehen, den Betroffenen zu schmeicheln, sie zu bestätigen und ihnen ein paar Tipps zu geben. Es ist auch meist nicht möglich, diese Menschen so schnell wie möglich wieder funktionsfähig zu machen. Auch wenn die Betroffenen sich meist nichts anderes wünschen.

Eine solche Art von Reparatur haben die meisten Menschen aber oft Jahre selbst schon erfolglos versucht. Wenn kluge Ratschläge, Tipps oder kluge Strategien alleine helfen würden, bräuchten Narzissten in Krisen keine professionellen Hilfen.

Oft ist es aber notwendig, sich mit den Gründen für das Scheitern auseinander zu setzen und zu verstehen, was die Betroffenen immer wieder überspielt haben. Sich dabei aber mit sich selbst, oder den Gründen für Niederlagen auseinander zusetzen wird von Narzissten oft schwer ertragen und deshalb immer wieder vermieden.

Narzissten zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie zwar sehr ergeizig, aber auch vom Erfolg abhängig sind. Sie brauchen den beruflichen und privaten Erfolg zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls. Sie haben ein außerordentliches Bedürfnis nach Anerkennung und lieben es, sich als besonders großartig, erfolgreich und leistungsstark darzustellen. Oft sind sie über Jahre Leistungsträger in Firmen und in ihrem privaten Umfeld.

Alle Probleme oder Warnsignale, die darauf hinweisen könnten, dass der Erfolg gefährdet sein könnte, werden von Narzissten ignoriert. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen mit einem narzisstischen Persönlichkeit oft Warnsignale sowohl in Firmen, als auch bei ihrer eigenen Gesundheit lange ausblenden.

Aber wenn dann schnelle Hilfe nicht möglich ist, wird der Coach oder Therapeut oft dafür verantwortlich gemacht, beschuldigt, entwertet und oftmals als unfähig beschimpft.

Bei Narzissten ist es oft die Kränkung, die schwer ertragen wird und das Eingeständnis evt. einen Fehler gemacht zu haben.

Dabei gibt es wie auch bei der Burnout-Behandlung in Coaching und Therapie keine Alternative dazu, sich mit den Ursachen der Krise zu beschäftigen, auch wenn das manchmal schwer fällt oder schmerzlich ist.

* Narzisstische Persönlichkeit entsprechend der psychoanalytischen Theorie von Kohut, Kernberg und Mahler

Depressionen – Auf die Ursachen kommt es an

Bei Depressionen sollte zuerst nach den Ursachen gefragt werden, bevor eine Behandlung eingeleitet wird. Das ist leider nicht selbstverständlich.

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Millionen Menschen sind weltweit davon betroffen (WHO 2001). Und auch in Deutschland erkranken 12 bis 20 von 100 Menschen einmal in ihrem Leben an einer Depression (IQWIG).

Dabei erstaunt, dass es in den meisten Artikeln, auch von Fachleuten, so wirkt, als handele es sich bei Depressionen um eine einzige Erkrankung.

Dabei zeigt jahrelange Erfahrung, dass Traurigkeit und Depressionen immer dann auftreten, wenn Menschen mit Problemen nicht mehr zurecht kommen und die Bewältigungsmechanismen nicht mehr ausreichen. Die Ursachen können ganz unterschiedlich sein. Und auch der Schweregrad der depressiven Verstimmung kann sich von Mensch zu Mensch und je nach der zugrunde liegenden Belastung unterscheiden:

  • So können Menschen bei Konflikten und Mobbing am Arbeitsplatz depressiv werden.
  • Andere kommen mit ihrer privaten Lebenssituation oder Beziehung nicht mehr zurecht und reagieren depressiv.
  • Verlust von nahen Angehörigen oder guten Freunden kann zu depressiven Verstimmungen führen.
  • Manche Menschen leiden nach schweren Traumatisierungen, Gewalterfahrung und schweren Schicksalsschlägen z.T, jahrelang immer wieder unter Depressionen.

Doch wenn das so ist, dann verwundert es, dass in vielen Fällen nicht vor jeder Behandlung genau nach den Ursachen geforscht und die Behandlung darauf abgestimmt wird.

Immer wieder werden Studien veröffentlicht, die nur die Depression-Symptome abfragen und Menschen dann je nach Studien-Design oder Präferenz des Arztes oder der Klinik behandeln.

Zu oft werden dann zu allererst Medikamente verordnet (Bertelsmann Stiftung, April 2014), deutlich weniger oft werden Psychotherapien angeboten, obwohl die Leitlinien der Fachgesellschaften Psychotherapien als erste Behandlungsmaßnahme empfehlen (siehe Beiträge in diesem Blog).

Dabei brauchen Menschen v.a. Psychotherapien, die sich nach den zugrunde liegenden Ursachen richten:

Menschen mit Eheproblemen oder nach Verlust von Angehörigen brauchen andere Behandlungen als Menschen mit Problemen am Arbeitsplatz. Und diese wieder andere Probleme als Menschen nach Gewalterfahrungen oder Traumarisierungen.

Deshalb ist es für Betroffenen wichtig, vor einer Behandlung Zweitmeinungen einzuholen oder sich nach Alternativen zu erkundigen.

Denn zugespitzt kann man sagen, dass es sich bei Depressionen immer wieder nur um Symptome von dahinter legierenden Problemen handelt.

Diese Probleme können den Betroffenen auch verborgen (unbewusst) sein. Dann ist es um so wichtiger, dass man Experten zu Rate zieht und sich nicht einfach Medikamente verschreiben lässt.

Burnout und Selbstoptimierung

Der Stress nimmt zu – überall.

Je nach Perspektive geht es um politische Aspekte, Stress am Arbeitsplatz, betrieblicher Gesundheitsförderung und persönlichen Stress.

In der SZ (3.12.15) wurde die Überförderung  als „Stress, den wir uns selbst machen“ und „Tyrannei der Selbstoptimierung“ beschrieben.

Und in der Tat: Viele Menschen, die mit behandlungsbedürftigem Burnout in  Behandlungen kommen, haben sich über Jahre selbst „ausgebeutet“, ohne auf ihre körperlichen und psychischen Grenzen zu achten.

Da wundert es nicht, dass sie mit schweren Depressionen  und zahlreichen körperlichen Beschwerden (Somatisierungsstörungen) in Behandlungen kommen.

Wer jahrelang versucht hat, über seine Grenzen zu gehen, 150 % zu leisten, nicht gespürt, hat dass es zuviel ist, usw. braucht sich nicht zu wundern, dass er/ sie krank wird.

V.a Menschen mit hohem Anspruch an sich selbst, viel Verantwortungsgefühl, Perfektionismus, strikten Moralvorstellungen sind Burnout-gefährdet.

Und diese Beschwerden und Haltung muss behandelt werden. Dazu sind intensive, psychodynamische Psychotherapie, konfliktzentrierte Behandlung und nicht nur ein optimiertes Verhalten notwendig.

Kontakt hilft – Therapie heilt

Es gibt einen wachsenden Trend zu Online Therapien, Skype-Beratungen usw.

Dazu habe ich am 3. August 2015 im Merkur ein Interview Online-Therapie gegeben: (Link auf der zweiten Seite).

Darin habe ich versucht, den Unterschied zwischen Beratung und Kontakt auf der einen Seite, und Psychotherapie auf der anderen Seite deutlich zu machen.

Trotz wachsender Zeitnot und dem immer stärkeren Trend zu schnellen Antworten und Lösungen, auch im Internet, ist Psychotherapie ein wissenschaftliche Methode zur Behandlung psychischer Probleme und Erkrankungen. Das geht leider nicht so nebenbei und zwischen anderen beruflichen oder privaten Terminen.

Zu guter, qualifizierter Psychotherapie sind einige Voraussetzungen sowohl beim Therapeuten*, als auch beim Klienten* oder Patienten* notwendig:

  • Der Therapeut* muss qualifiziert und erfahren sein,
  • er muss die richtige, (wissenschaftliche anerkannte)  Therapie beherrschen und anwenden
  • der Patient muss eine behandlungsbedürftige Erkrankung haben
  • es müssen schwere Behandlungsrisiken ausgeschlossen werden
  • der Patient* muss motiviert und in der Lage sein, sich mit seinen Problemen auseinander zu setzen
  • zur Therapie ist immer auch eine persönliche Beziehung notwendig.

Solange es keine guten wissenschaftlichen Untersuchungen zu nutzen und Risiken und auch zu Langzeitfiolgen von sogenannter „Online-Therapie“ gibt, sollten sich Menschen in psychischen Krisen oder mit psychischen Erkrankungen in ein persönliches Beratungsgespräch zu Untersuchung, Diagnostik und Behandlung mit Profis begeben.

* Es sind immer beide Geschlechter angesprochen